Es ist und bleibt sein Lieblingsthema: „Taxi Driver“-Autor Paul Schrader (75) stellt in „The Card Counter“ einmal mehr eine männliche Hauptfigur in den Mittelpunkt, die einsam ihrer Wege geht und auf der Suche nach einem Platz in der Welt ist. Dieses Mal ist es nicht Taxifahrer Travis Bickle (Robert DeNiro, 78), sondern Pokerspieler William Tell (Oscar Isaac, 42), der von traumatischen Erlebnissen aus der Vergangenheit eingeholt wird. Er hat einst Schuld auf sich geladen und hadert damit, Vergebung zuzulassen und von Vergeltung abzulassen.
„The Card Counter“: Darum geht’s
Zehn Jahre saß William Tell (Isaac) im Gefängnis. Der Ex-Soldat einer Spezialeinheit saß eine Strafe wegen Foltertaten ab, während sein Vorgesetzter ungeschoren davonkam. Hinter Gittern perfektionierte Tell die Kunst des Kartenzählens. Wieder in Freiheit, will er sein Talent nutzen und beginnt von Casino zu Casino zu ziehen. Er spielt Poker und Blackjack, weniger wegen des Geldes als vielmehr zum Zeitvertreib. Seine Einsätze hält er niedrig, um nicht aufzufallen. In seinem trostlosen, rastlosen und sich wiederholenden Alltag holen ihn immer wieder die schrecklichen Ereignisse aus dem Gefängnis Abu Ghraib ein. Seine Gedanken versucht Tell in einem Tagebuch zu ordnen.
Unerwartet kreuzt der junge Cirk (Tye Sheridan, 25) seinen Weg, der den ehemaligen Soldaten für seinen Racheplan gewinnen will. Sein verstorbener Vater diente mit Tell im Irak und Cirk will den früheren und vom Gefängnis verschont gebliebenen Vorgesetzten der beiden, Major John Gordo (Willem Dafoe, 66), endlich zur Rechenschaft ziehen. Auch die Poker-Agentin La Linda (Tiffany Haddish, 42) tritt in Tells Leben und lockt nicht nur mit dem großen Geld. Für den Pokerspieler ist die Chance auf Vergebung gekommen, doch die Geister der Vergangenheit lassen sich nicht so einfach abschütteln.
Steiniger Weg zu Vergebung
Zunächst bleibt William Tell, vormals Tillich, dem Zuschauer eine undurchschaubare Figur, der sich nach seinen emotionslosen Pokerrunden in karge Motelzimmer zurückzieht und dort Mal für Mal die Möbel mit weißem Stoff einhüllt, um ohne Ablenkungen seine Gedanken in seinem Tagebuch zurechtzurücken. Es scheint, als ob er an der Struktur und Routine seines Gefängnisaufenthaltes festhält. Seine Gleichgültigkeit und Entfremdung gegenüber der realen Welt bricht langsam durch die Begegnung mit Cirk auf.
Er wird zu seinem Begleiter auf seinen bisher einsamen Fahrten von Casino zu Casino. Denn statt ihm bei seinem Racheplan zu unterstützen, will Tell dem verloren wirkenden Jungen bei seinen finanziellen Problemen helfen und für ihn am Pokertisch gewinnen. Das ungleiche Duo nähert sich an und der Wunsch nach einem Mentorendasein und das Gefühl der Wiedergutmachung erwachen in dem Ex-Soldaten, sodass er sogar an trubeligen Pokerturnieren teilnimmt und seinen Schutzmantel der Anonymität immer mehr verliert. Tells innere Zerrissenheit wird immer deutlicher: Hat seine Bestrafung je ein Ende und wann hat man Vergebung verdient? Mit Agentin La Linda, die nicht nach seinem Vorleben fragt, scheint er beinahe die Antwort darauf und seinen Frieden zu finden, bis seine Vergangenheit ihn doch wieder einholt und zu einem blutigen Showdown führt.
Mehr Charakterstudie, weniger Thriller
Nicht die Handlung mit teils flachen Dialogen und trägen Gesprächen halten die Spannung im Film. Der als Rachethriller angekündigte Film entpuppt sich vielmehr als Charakterstudie eines von Schuld zerfressenen Mannes, der von Oscar Isaac überzeugend dargestellt wird. Die Rolle des „Dune“-Stars, der sich ein kühles Pokerface ebenso wie das Handling mit Karten und Chips bestens angeeignet hat, steht deutlich im Mittelpunkt, sodass eine tiefere Auseinandersetzung mit den Nebencharakteren, besonders bei Willem Dafoe bedauerlich, und einzelnen Handlungssträngen ausbleibt. Vor allem die für Tells Jetztzustand so wichtige Vergangenheit wird nur schemenhaft aufgearbeitet und nur kurze Szenen aus seinem Alltag als Soldat gezeigt. Dabei hinterlassen genau diese letztendlich den bleibenden Eindruck.
Die Flashbacks, durch die Tell an den Ort der Schande mit all dem Lärm, Gestank und Ängsten zurückkehrt, bringt Kameramann Alexander Dynan mit VR-Technologie besonders eindringlich auf die Leinwand. Das abgeflachte Bild sorgt für das beklemmende Gefühl, selbst durch die schmutzigen Gänge des berüchtigten Gefängnisses zu gehen. Auch sonst kann besonders die visuelle Umsetzung des Films überzeugen. Die schrillen Casinos und Pokerrunden mit all ihren Eigenheiten werden ebenso wie das triste Motel-Leben des Protagonisten detailreich dargestellt.
Fazit
„The Card Counter“ kommt nicht als klassischer Thriller daher. Schrader, der sich als ausführenden Produzenten „Taxi Driver“-Regisseur Martin Scorsese ins Boot geholt hat, lässt vielmehr dramatische und sogar romantische Elemente miteinfließen, die den Film unvorhersehbar machen. Einmal mehr stellt er zudem eine interessante Figur in einen größeren gesellschaftlichen Kontext. Tells Fehlverhalten in der Vergangenheit und die Militärkultur, die das ermöglicht hat, lassen einen am Ende des Films nachdenklich zurück.