Bislang galt es als unrealistisch, eines Tages zuverlässig Gedanken lesen zu können. Stattdessen ist das Konzept eher etwas für Hollywood und andere fiktionale Medien gewesen. Doch Forschende haben nun einen großen Schritt hin zur Realisierung gemeistert.
Gedanken lesen: KI-Dekoder erlaubt neuen Weg
Um herauszufinden, was Menschen denken oder sich vorstellen, arbeiteten die Expertinnen und Experten hauptsächlich mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), wie sie in ihrer Studie berichten. Dieses Verfahren ist eigentlich viel zu langsam, um Hirnaktivitäten zu messen.
Doch auf die Dekodierung einzelner Worte anhand der Aufzeichnungen hatten es die Forschenden ohnehin nicht abgesehen. Stattdessen schaute man auf Semantik und Bedeutung, denn diese leitenden Ideen würden sich nicht so schnell ändern und sich daher besser zur Erfassung eignen. Im Zusammenspiel mit einer künstlichen Intelligenz gelangen ihnen dann überraschend genaue Beobachtungen dessen, was in den Köpfen der Probandinnen und Probanden vor sich ging.
„Für eine nicht-invasive Methode ist dies ein echter Schritt vorwärts im Vergleich zu dem, was bisher gemacht wurde, nämlich typischerweise einzelne Wörter oder kurze Sätze“, erklärte Alex Huth, Assistenzprofessor für Neurowissenschaften und Computerwissenschaften an der UT Austin (via SciTechDaily). „Wir bringen das Modell dazu, kontinuierliche Sprache über längere Zeiträume mit komplizierten Ideen zu entschlüsseln.“
Auch spannend: Dies ist nicht das erste Mal, dass man versuchte, Gedanken in irgendeiner Form wiederzugeben. Vor Jahren machte eine andere KI Gedanken visuell sichtbar.
GPT-1 lernte Zusammenhang von Sprache mit Hirnaktivitäten
Und so gelang ihnen der wissenschaftliche Coup: Drei Personen sollten sich für 16 Stunden Geschichten anhören, während sie in der fMRT-Maschine lagen. Anschließend wurde GPT-1, ein Vorgängermodell zum aktuell hohe Wellen schlagenden ChatGPT, mittels Internetkommentaren und Geschichten trainiert.
Die semantischen Eigenschaften der Geschichten wurden mit den aufgezeichneten Hirnaktivitäten verlinkt – so konnte die KI lernen, welche Phrasen und Wörter mit welchen Mustern im Gehirn zusammenhingen.
Übrigens: Immer wieder stoßen Forschende auf etwas Neues, das sie bislang übersehen hatten. So konnten sie vor Kurzem einen neuen Bereich im Gehirn ausfindig machen.
Anschließend ging es für die Versuchspersonen erneut in die fMRT. Aber dieses Mal lauschten sie Geschichten, die noch nicht zur Datengrundlage der KI gehörten. Durch ihr vorheriges Training gelang es ihr aber, recht genaue Texte nur anhand der Hirnaktivitäten zu formulieren, noch während die Personen die dazugehörigen Geschichten hörten.
Entsprechend der Intention handelte es sich nicht um wortwörtliche, aber sinngemäße Interpretationen: Lautete der Originaltext zum Beispiel „Ich habe noch nicht meinen Führerschein“, machte die KI daraus „Sie hat noch nicht begonnen, das Fahren zu lernen.“
Experten gingen sogar noch einen Schritt weiter
Anschließend ging man in der Versuchsreihe noch einen Schritt weiter. Denn man wollte auch überprüfen, ob es auch funktionieren würde, wenn die Versuchspersonen lediglich einen Filmausschnitt sehen oder sich komplett etwas ausdenken würden. In beiden Fällen gelang aber auch das. Trotzdem seien die Ergebnisse mit Sprachaufnahmen insgesamt besser als zum Beispiel mit imaginierter Sprache.
Dass Gedanken zu lesen eine spannende, aber auch durchaus beängstigende Vorstellung ist, räumt das Forschungsteam selbst ein. Fragen der Privatsphäre und des Missbrauchs drängen sich auf und müssten frühzeitig adressiert werden.
Auch die praktische Anwendung, um zum Beispiel Menschen mit Sprachschwierigkeiten zu helfen, ist noch nicht gegeben. Denn eine fMRT-Maschine wiegt mehrere Tonnen und der Versuch funktionierte bislang nur durch individuelles Training der KI auf bestimmte Personen – noch lässt sich das Verfahren also nicht generalisieren. Trotzdem sind das alles Hürden, die in Zukunft angegangen werden könnten.
Quelle: „Semantic reconstruction of continuous language from non-invasive brain recordings“ (Nature Neuroscience 2023), SciTechDaily
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