Forschende unter der Leitung von Paolo Colciaghi und Yifan Li von der Universität Basel in der Schweiz haben kürzlich ein bedeutendes Experiment durchgeführt. Sie untersuchten dabei ein zentrales Paradoxon der Quantenmechanik anhand des größten bisher getesteten verschränkten Systems: zwei Bose-Einstein-Kondensate, die jeweils aus 700 Atomen bestehen. Ziel des Teams war es, das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon (EPR-Paradoxon) zu testen. Das Phänomen stellt seit über 80 Jahren unser Verständnis der Realität im Rahmen der Quantenmechanik in Frage. Ihre Ergebnisse haben gezeigt, dass dieses Paradoxon auch dann bestehen bleibt, wenn man es auf Systeme mit mehreren Teilchen überträgt, was erhebliche Auswirkungen auf die Quantenmetrologie, die auf der Quantentheorie basierende Messstudie, hat.
Die „spukhafte Fernwirkung“ der Quantenmechanik
Die Quantenmechanik ist ein Eckpfeiler der modernen Physik, der Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, um das Verhalten von Atomen und subatomaren Teilchen zu beschreiben, wo die Regeln der klassischen Physik versagen. Doch hat die Theorie ihre Tücken.
Im Jahr 1935 veröffentlichten Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen das EPR-Paradoxon im Rahmen eines Artikels in der Physical Review. Es schien die Quantentheorie regelrecht zu durchlöchern. Konkret betrifft es die eigentümliche Quantenverschränkung, ein Phänomen, das Albert Einstein berühmt als „spukhafte Fernwirkung“ beschrieb, bei der zwei oder mehr Teilchen untrennbar miteinander verbunden werden und sich unabhängig von der Entfernung gegenseitig beeinflussen.
Die Implikationen dieses Phänomens sind tiefgreifend und komplex. Im Rahmen der Quantenmechanik sind die Eigenschaften eines Teilchens erst dann definiert, wenn sie gemessen werden – eine Idee, die in dem berühmten Gedankenexperiment von Schrödingers Katze zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus besagt die Heisenbergsche Unschärferelation, dass man nicht gleichzeitig zwei komplementäre Eigenschaften, etwa die Position und den Impuls eines Teilchens, mit absoluter Gewissheit kennen kann.
„Superatom“ soll Paradoxon auflösen
Das EPR-Paradoxon stellt die Vorstellungen nach Schrödinger und Heisenberg in Frage. Wenn wir ein verschränktes Teilchen messen, wissen wir augenblicklich mehr über die Eigenschaften seines Partnerteilchens, als die Unschärferelation zulässt. Dies scheint sowohl gegen die Lichtgeschwindigkeitsbegrenzung als auch gegen das Konzept des lokalen Realismus zu verstoßen, das davon ausgeht, dass Objekte oder Energien physisch interagieren müssen, um sich gegenseitig zu beeinflussen.
Das EPR-Paradoxon wurde bisher vor allem mit kleinen verschränkten Systemen getestet, die in der Regel aus Paaren von Atomen oder Photonen bestehen, und zwar mit einer Methode, die als Bell-Test bekannt ist. Das Paradoxon scheint darauf hinzudeuten, dass die Theorie der Quantenmechanik unsere Realität nicht vollständig beschreibt, aber wie tief geht dieses Paradoxon?
Um diese Frage zu untersuchen, konzentrierte sich das Basler Team im Rahmen seiner Studie auf Bose-Einstein-Kondensate, einen besonderen Zustand der Materie, der durch Abkühlung einer Gruppe von Bosonen nahe dem absoluten Nullpunkt erreicht wird. Unter diesen Bedingungen überschneiden sich die Quanteneigenschaften der Teilchen, und die hochdichte Atomwolke verhält sich wie ein einziges Superatom.
Erkenntnisse für die Quantenmetrologie
Um das EPR-Paradoxon in einem größeren Maßstab zu testen, erzeugten Colciaghi, Li und ihre Kollegen zwei Bose-Einstein-Kondensate mit zwei 700-Atom-Wolken aus Rubidium-87. Sie trennten diese Kondensate in einem Abstand von bis zu 100 Mikrometern und maßen ihre Eigenschaften. Das Team entdeckte, dass die Eigenschaften dieser beiden Kondensate nicht zufällig miteinander korreliert waren. Das bestätigt, dass das EPR-Paradoxon im Vergleich zu früheren Bell-Tests auch für Systeme in größerem Maßstab gilt.
Die Entdeckung des Teams hat zwingende Auswirkungen auf die künftige Quantenforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Quantenmetrologie. Ihre Versuchsanordnung könnte es den Forschern zufolge ermöglichen, ein System als kleinen Sensor zu verwenden, um Felder und Kräfte mit hoher räumlicher Auflösung zu messen, während das andere System als Referenz dient, um das Quantenrauschen zu reduzieren.
Die Demonstration der EPR-Verschränkung auf diese Weise bietet nicht nur wichtige Einblicke in die Quantenmechanik, sondern auch potenzielle Anwendungen der EPR-Verschränkung in Systemen mit vielen Teilchen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Erkenntnisse in praktische Anwendungen umgesetzt werden können. Dennoch ist es ein bedeutender Schritt nach vorne, da es uns ein besseres Verständnis dafür vermittelt, wie die Quantenmechanik auf größeren Skalen funktioniert. Dies könnte letztlich dazu beitragen, die Tür zu neuen technologischen Entwicklungen, von Quantencomputern bis hin zu fortgeschrittenen Sensoren, weiter zu öffnen.
Quelle: „Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be Considered Complete?“ (Physical Review, 1935); „Einstein-Podolsky-Rosen Experiment with Two Bose-Einstein Condensates“ (Physical Review, 2023)
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