Forschende am Forschungszentrum Jülich haben eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, die physikalische Theorien entwickeln kann. Sie analysiert komplexe Datensätze, um Muster zu identifizieren und sie in kohärente Theorien zu formulieren. Für die Weiterentwicklung der Physik als wissenschaftliche Disziplin könnte das ein entscheidender Meilenstein sein.
„Physik der KI“
Prof. Moritz Helias vom Institute for Advanced Simulation (IAS-6) in Jülich erklärt das innovative Konzept der „Physik der KI“. Dieser Ansatz weicht von traditionellen Methoden ab, indem er KI verwendet, um komplexe Interaktionen innerhalb eines Systems zu vereinfachen und dann zu rekonstruieren.
Der Entwicklungsprozess für neue Theorien in der Physik beginnt in der Regel mit Beobachtungen, die zu Hypothesen über die Interaktionen der Systemkomponenten führen. Diese Hypothesen helfen, beobachtete Verhaltensweisen zu erklären und neue Phänomene vorherzusagen, wie zum Beispiel Newtons Gravitationsgesetz, das die Bewegungen von Himmelskörpern genau vorhersagt.
Traditionelle Methoden variieren, wobei einige Physiker*innen Hypothesen aus grundlegenden Prinzipien ableiten, während andere einen phänomenologischen Ansatz verwenden, um Beobachtungen so genau wie möglich zu beschreiben, ohne die zugrundeliegenden Ursachen zu erklären.
So funktioniert das System des IAS-6
Die „Physik der KI“ verwendet eine Methode namens „Physics for machine learning“, um die komplexe Funktion der KI zu verstehen. Claudia Merger, ein Mitglied des Forschungsteams und Hauptautorin der entsprechenden Studie, nutzte ein neuronales Netzwerk, um beobachtete komplexe Verhaltensweisen auf ein einfacheres Modell abzubilden.
Dieser Prozess beinhaltet die Vereinfachung der beobachteten komplexen Interaktionen in einem System, um dann mit der KI diese Beobachtungen umzukehren und neue Theorien zu entwickeln. Das System rekonstruiert komplexe Interaktionen Schritt für Schritt aus dem vereinfachten Modell, was dem Ansatz eines Physikers oder einer Physikerin ähnelt, jedoch von den Parametern der KI geleitet wird.
Auch interessant: Schneller als Lichtgeschwindigkeit: Warp-Antrieb näher als gedacht
Aus komplex werde einfach
„Wir haben zum Beispiel einen Datensatz von Schwarz-Weiß-Bildern mit handgeschriebenen Zahlen verwendet, der in der Forschung häufig für die Arbeit mit neuronalen Netzen zum Einsatz kommt“, erläutert Helias. „Claudia Merger hat damit im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersucht, wie kleine Substrukturen in den Bildern, wie zum Beispiel die Kanten der Zahlen, sich aus Interaktionen von Pixeln zusammensetzen. Dabei findet man Gruppen von Pixeln, die bevorzugt gemeinsam heller sind und somit zu der Form der Kante der Zahl beitragen.“
Die Fähigkeit der KI, große Systeme zu verarbeiten, soll durch weitere Optimierungen wachsen und verspricht die Analyse noch komplexerer Systeme in der Zukunft. Im Gegensatz zu herkömmlichen Systemen, die die von ihnen gelernten Theorien in ihren Parametern verschleiern, strebt die Jülicher KI nach Erklärbarkeit. Sie formuliert die gelernten Theorien in der Sprache der Physik und konzentriert sich auf die Interaktionen zwischen Systemkomponenten.
„Unser Ansatz hingegen extrahiert die gelernte Theorie und formuliert sie in der Sprache der Interaktionen zwischen Systemkomponenten, die der Physik zugrunde liegt. […] Wir können mit der Sprache der Interaktionen eine Brücke zwischen dem komplexen Innenleben der KI und für Menschen verständlichen Theorien schlagen.“
Prof. Moritz Helias
Quellen: Forschungszentrum Jülich; „Learning Interacting Theories from Data“ (Physical Review X, 2023)
Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hier kannst du den Betroffenen helfen.