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Ostsee: Forscher machen dramatische Entdeckung – „eine durch Menschen ausgelöste Evolution“

Im Jahr 2019 trat in weiten Teilen der Ostsee ein Fangverbot für Dorsch in Kraft. Denn der Fischpopulation geht es schlecht. Doch nun haben Forschende aus Kiel in dessen Erbgut eine erschreckende Veränderung festgestellt.

Fisch in einem Fangnetz auf einem Boot.
© Stefan Richter - stock.adobe.com

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Für viele Menschen ist die Ostsee nicht nur ein beliebter Urlaubsort, sondern auch Lebensgrundlage und Nahrungslieferant. Doch der Fischfang in dem Binnenmeer hat mittlerweile solche extremen Ausmaße angenommen, dass sich nun sogar das Erbgut der Wasserlebewesen verändert, wie eine neue Studie zeigt.

Ostsee: Erbgut der Fische verändert sich

So haben Wissenschaftler*innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel erstmals nachgewiesen, dass sich das Erbgut zahlreicher Fische in der Ostsee verändert. Der Grund dafür ist der Mensch. Ihre Erkenntnisse haben sie vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.

Demnach sind Dorsche in der zentralen Ostsee heute nicht nur seltener, sondern auch deutlich kleiner als früher. Die Forschenden konnten diese Veränderung im Erbgut der Fische identifizieren. Intensive Fischerei hat Auswirkungen auf die Genome überfischter Bestände – mit langfristigen Folgen für ihre Entwicklung, wie sich damit zeigt.

„Der Dorsch (Gadus morhua) war einst ein Gigant. Nicht nur die üppigen Populationen, auch seine Größe von über einem Meter Länge bei einem Gewicht bis zu 40 Kilogramm machten ihn neben dem Hering zum ‚Brotfisch‘ der Ostsee. Heute würde ein ausgewachsener Dorsch auf einen Teller passen“, heißt es in der Pressemitteilungen von GEOMAR. Doch das ist kein Zufall, sondern bedingt durch ein verändertes Genom der Fische.

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„[…] der Mensch hat Spuren im Genom der Fische hinterlassen“

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, haben die Forschende Genvarianten der Fische, die mit dem Körperwachstum in Verbindung stehen, genau untersucht. Dabei zeigte sich, dass diese über die Zeit hinweg Anzeichen gerichteter Selektion aufwiesen, also systematisch häufiger oder seltener wurden. Die genetische Basis des „Schrumpfens“ der Dorsche konnte so belegt werden, ebenso wie die Tatsache, dass „der Mensch […] Spuren im Genom der Fische hinterlassen“ hat.

Die Begründung für diese Erbgutveränderung ist dabei überaus simpel. „Wenn über Jahre hinweg bevorzugt die größten Tiere weggefangen werden, gibt das den kleineren, schneller reifen Individuen einen evolutionären Vorteil“, erklärt Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR. „Was wir beobachten, ist eine durch Menschen ausgelöste Evolution – fischereiinduzierte Selektion. Das ist wissenschaftlich spannend, aber ökologisch natürlich hoch dramatisch.“

Denn diese Anpassung an ihre Umwelt bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Bestände des Dorsches in der Ostsee sich nun wieder einwandfrei erholen. Die Forschenden konnte auch verändertes Erbgut nachweisen, dass die Fische früher in die Geschlechtsreife treten lässt. Das hat gravierende Konsequenzen für deren Fortpflanzung.

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Dorsche werden kleiner und früher geschlechtsreif

Die auf frühe Geschlechtsreife programmierten kleineren Fische bringen weniger Nachwuchs zur Welt. Zudem sind die Genvarianten für schnelleres Wachstum und spätere Reifung möglicherweise nicht mehr vorhanden. „Dies bedeutet auch einen Verlust von Anpassungspotenzial an kommende Umweltveränderungen“, warnen die Forschenden. Die neuen Erkenntnisse über die Fischpopulationen in der Ostsee machen deutlich, dass Schutzmaßnahmen und Fangquoten nicht kurzfristig, sondern über Generationen hinweg gedacht werden müssen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie tiefgreifend menschlicher Einfluss auf das Leben von Wildpopulationen ist – sie reicht bis auf die Ebene des Erbguts“, betont Kwi Young Han vom GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel. „Und sie machen deutlich, dass nachhaltige Fischerei weit mehr ist als eine ökonomische Frage. Es geht um den Erhalt biologischer Vielfalt, und das bedeutet auch: genetischer Ressourcen.“

Quellen: GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, „Genomic Evidence of Fisheries Induced Evolution in Eastern Baltic cod“ (Science Advances 2025)

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