Was macht einen Menschen aus?
Ist es unser Bewusstsein, die Fähigkeit, Emotionen zu empfinden oder gar der freie Wille, die uns einzigartig machen? Eine Frage, auf die wohl jeder Mensch eine andere Antwort geben würde. Das dürfte wohl auch erklären, wieso sich bereits seit mehreren Jahrzehnten Filme mit eben diesem Thema beschäftigen und dabei eine breite Palette an Antworten liefern wollen. Insbesondere ein Szenario scheint uns jedoch seit einigen Jahren besonders zu beschäftigen: Geben wir durch den verstärkten Einsatz von Technologie ein Stück unserer Menschlichkeit ab?
Die ewige Debatte: Gewisse Technologien, allen voran das Smartphone gepaart mit dem Internet, sollen Menschen unsozial und dumm machen. Als Belege werden gerne Anekdoten aus dem Alltag herangezogen, doch auch die Wissenschaft beschäftigt sich zunehmend mit diesem Thema. Zur gleichen Zeit wächst auch die Angst vor Künstlicher Intelligenz und der Digitalisierung von Industrie und Alltag – überholt uns irgendwann unsere eigene Schöpfung und macht uns zu Sklaven?
Die differenziertere Zukunftsvision
Während Filmreihen wie “Terminator” und “Matrix” bereits einen Krieg zwischen Mensch und Maschine prophezeien, erzählt “Ghost in the Shell” eine etwas differenzierte Zukunftsvision. Im Jahr 2029 ist die Digitalisierung in alle Bereiche des Alltags vorgedrungen, der Alltag wird von Technologie dominiert. Jeder Mensch kann, wenn er ein sogenanntes “Cyberbrain” besitzt, mit seinem Gehirn online gehen. Auch die eigenen Fähigkeiten werden mithilfe von kybernetischen Implantaten erweitert, sodass sich viele Menschen Augen mit Nachtsicht oder besonders kräftige Gliedmaßen zulegen. Keine abwegige Vorstellung, insbesondere da es bereits erste Debatten über Cyborgs gibt und Elon Musk plant, das menschliche Gehirn mit Computern zu vernetzen.
In dieser von Menschen, Robotern und Cyborgs bevölkerten Welt ist “Major”, eine Agentin der geheimen Behörde Sektion 9, eine Anomalie. Ihr Körper ist der eines Androiden, in das ein menschliches Hirn verbaut wurde. Damit ist auch ihr “Ghost” – stellvertretend für ihre Erinnerungen und Seele – in die künstliche Hülle übergegangen. Die Trennung zwischen Körper und Geist ist hier scheinbar klar, das vom Menschen bekannte Zusammenspiel zwischen diesen beiden Entitäten gibt es offenbar nicht. Denn während der menschliche Geist auf körperliche Reize reagiert, beispielsweise wenn wir vor der Hitze des Feuers zurückschrecken oder durch Kitzeln abgelenkt werden können, gelten diese Spielregeln für die nahezu unverwundbare Major nicht.
Von der Animereihe zum Hollywoodstreifen
Das 1989 erstmals als Manga veröffentlichte “Ghost in the Shell” schreckte nie davor zurück, sich auf ungewöhnliche Gedankenexperimente einzulassen. Viele davon mögen wie Science-Fiction erscheinen, doch das dachten sich auch viele, als Jules Verne über die Mondlandung schrieb oder George Orwell den Überwachungsstaat voraussagte. Umso enttäuschender ist es, dass dieses faszinierende Universum, das in den vergangenen 27 Jahren zahlreiche Fans fand, nun auf ein Minimum reduziert wird.
In “Ghost in the Shell”, der ersten Realverfilmung der Anime-Reihe, schlüpft Scarlett Johansson in die Rolle des Major. Eine umstrittene, aber dennoch gute Wahl. Johansson hat bereits in anderen ungewöhnlichen Science-Fiction-Filmen ihr Talent für schwierige Rollen bewiesen, sei es als eine zum Verlieben charmante künstliche Intelligenz in “Her” oder als männermordendes Alien in “ Under the Skin”.
Auch die restliche Besetzung ist gut gewählt und zeigt, dass auch auf Talente statt bekannte Namen geachtet wurde. So spielt Takeshi Kitano (“Battle Royale”) die Rolle des leicht zu unterschätzenden Sektion-9-Leiters Daisuke Aramaki und Pilou Asbæk (“Game of Thrones”) verkörpert Majors Agenten-Partner Batou. Zudem spielen Michael Pitt (“Funny Games”) und Juliette Binoche (“Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins”) wichtige Rollen.
Der Film verkommt zum klassischen Action-Thriller
Die Geschichte ähnelt dem Original stark: Auf der Jagd nach Verbrechern und Terroristen ist die Sektion 9 plötzlich mit einem neuen unbekannten Gegenspieler konfrontiert. Dieser als “ Puppenspieler” (“Puppet Master” im Original) bekannte Bösewicht kann scheinbar nach Belieben Roboter und Menschen hacken und nutzt diese Fähigkeit für einen Feldzug gegen den Roboter-Hersteller Hanka Robotics. Auch im Remake ist Major dabei ständig mit der Frage nach ihrer Rolle in der Welt konfrontiert. Doch während Anime und TV-Serie diesen Aspekt in den Mittelpunkt stellen, dient die Suche nach Antworten in der Neuauflage lediglich als Vorwand, um mehr aus ihrer Vergangenheit zu erzählen.
So verkommt der Film zum klassischen Action-Thriller nach dem Schema F, wie man ihn schon seit gut vier Jahrzehnten aus Hollywood kennt. Darüber können auch die kurzen Glücksmomente nicht hinwegtäuschen. Denn einige Szenen und sogar Dialoge wurden beängstigend gut kopiert und treffen den Stil des Originals erstaunlich gut. Diese Momente sind leicht erkennbar, da dann meist der bekannte Soundtrack des Originals ertönt und für Gänsehaut sorgt. Ohnedies ist das die wohl größte Stärke des Films: Das Setting des Originals wurde perfekt an die Realverfilmung angepasst und erzeugt das gleiche beklemmende Gefühl, dass all das schon in einigen Jahrzehnten unsere Welt sein könnte.
“Ghost in the Shell” könnte noch eine Chance bekommen
Doch auch die schönste Inszenierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei “Ghost in the Shell” nur um einen Actionfilm von vielen handelt. Das Cyberpunk-Ambiente konnte man wunderschön auf die Leinwand bannen, doch die Handlung selbst ist ein Schatten ihrer selbst. Eine vergebene Chance, denn gerade im Jahr 2017 wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Technologie auf die Menschheit wünschenswert.
Hier haben Filme wie “Her” oder “Ex Machina” deutlich bessere Arbeit geleistet, auch wenn sie das Zusammenspiel zwischen Mensch und Technologie aus anderen Perspektiven betrachten. Doch es gibt Hoffnung: Noch dieses Jahr kommt mit “Blade Runner 2049” die lange erwartete Fortsetzung des Science-Fiction-Klassikers in die Kinos. Und auch “Ghost in the Shell” könnte noch eine Chance bekommen, eine Fortsetzung ist nicht unwahrscheinlich. Solange kann man “Ghost in the Shell” lediglich jenen Kinofans empfehlen, die Action bevorzugen und das Original nicht kennen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf futurezone.at.