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„Wir brauchen keine neue, digitale Ethik“: Theologe Andreas Büsch im Gespräch

Am Fortbestand der Katholischen Kirche hat Andreas Büsch keine Zweifel. Im Interview spricht der Theologe darüber, warum die Institution durch Social Media zu sich kommen könnte.

Auch die deutschen Bischöfe kümmern sich um digitale Teilhabe. Foto: imago

Auf Veranstaltungen wie der re:publica 17 in Berlin sind seit einigen Jahren nicht mehr nur Blogger, Journalisten und Entwickler unterwegs. Auch Speaker aus anderen Lebensbereichen und Berufsständen kommen zu Wort, um ihre Sicht auf die Digitalisierung vorzustellen und zu diskutieren. So auch die Katholische Kirche.

Die steht nicht gerade im Verdacht, ein wichtiger netzpolitischer Player zu sein. Dennoch beteiligt sie sich an Wertediskursen. Im Oktober 2016 hat die Deutsche Bischofskonferenz unter dem Titel „Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit“ ein netzpolitisches Papier veröffentlicht, das aktuelle Thematiken wie Datenschutz und Hass im Netz diskutiert. Aus christlicher Perspektive geht es, so die Aussagen des Papiers, „um eine kritische Begleitung der Digitalisierung, die die Menschendienlichkeit dieser Entwicklung gewahrt wissen will“.

Auf der diesjährigen re:publica wurde das Papier von Andreas Büsch noch einmal präsentiert und zur Debatte gestellt. Büsch ist Theologe und Erziehungswissenschaftler. Zusätzlich zu seiner Professur für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaften an der Katholischen Hochschule Mainz leitet er die dort angesiedelte Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz. Die Mündigkeit des digitalen Menschen ist einer seiner Schwerpunkte im Bereich Medienkompetenz und Medienbildung.

Im Gespräch mit futurezone spricht Büsch über Social Media in den Gemeinden, den TED Talk von Papst Franziskus und darüber, ob die Institution Kirche im digitalen Zeitalter noch bestehen kann.

futurezone: Kirche und Netzpolitik – wie passt das eigentlich zusammen?
Andreas Büsch: Die Frage ist natürlich berechtigt und auch nicht ganz überraschend. Vom Selbstverständnis her hatte Kirche aber immer den Anspruch, auf die Gesellschaft einzuwirken. Das geht unter anderem zurück auf die „Soziale Frage“ Ende des 19. Jahrhunderts. In dieser Tradition steht eben auch das netzpolitische Papier, das die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht hat und das ich auf der re:publica in Berlin vorgestellt habe.

Andreas Büsch ist Theologe und Erziehungswissenschaftler.
Andreas Büsch ist Theologe und Erziehungswissenschaftler.
Foto: Sascha Draheim / Clearingstelle Medienkompetenz

Was ist die wichtigste Aussage oder Forderung dieses Papiers für Sie persönlich?
Ich finde vor allem zwei Dinge sehr charmant. Zum einen ist es gelungen, in einem langen Diskussionsprozess eine durchgängig positive Sicht auf digitale Medien und Digitalisierung auszudrücken. Da die Geschichte von Kirche und Medien keine leichte ist, hätte man diese Sicht von Seiten der Kirche vielleicht so nicht erwartet.

Das zweite, das ich formal sehr schön finde, ist, dass die Autoren des Papiers und damit die Publizistische Kommission nicht mit Forderungen an Dritte antreten, sondern bei Selbstverpflichtungen bleiben und Empfehlungen für den kirchlichen Bereich aussprechen. So muss zum Beispiel das Datensensibilität natürlich auch für den kirchlichen Bereich gelten. Auch wir wollen Menschen im Netz nicht als Objekte, sondern als Subjekte betrachten. Das gilt zum Beispiel für die Barrierefreiheit, die auch im kirchlichen Bereich gewährleistet sein muss.

„Kirche muss sich auch selbst auf den Prüfstand stellen“

Warum ist das alles für die Kirche überhaupt so wichtig? Die Kirche als Institution und Gemeinschaft schien ja bisher noch zu funktionieren.
Das ist jetzt eine sehr einfache Vorstellung, dass alles so funktionieren würde. Ich halte es für wichtig, als gesellschaftliche Institution auf gesellschaftliche Prozesse Einfluss zu nehmen. Die Digitalisierung ist ein solcher Prozess, der vergleichbar ist mit der Kommunikationsrevolution, die der Buchdruck herbeigeführt hat – wobei Digitalisierung noch weitreichender wirkt. Dazu hat auch die Kirche Stellung zu beziehen.

Außerdem haben wir natürlich auch ein inhaltliches Anliegen, nämlich die Idee einer unveräußerlichen Menschenwürde. Von daher wollen auch wir den Finger auf die Wunde legen und einen Diskurs befördern, der beobachtet, was da gerade genau passiert. Das muss die Kirche einerseits für die Gesellschaft als Ganzes prüfen, andererseits muss sie sich natürlich auch selbst auf den Prüfstand stellen.

Es gibt bereits seit 1967 den sogenannten Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel, den der Papst jeweils mit einem Impuls einleitet. Darin sehe ich in den vergangenen Jahren eine deutliche Wertschätzung der Katholischen Kirche für die Kommunikation auf Social Media. Die klare Botschaft ist: Überlasst diese Netze nicht den Trollen und Hatern. Mischt euch ein und macht aus dem Netz einen Raum für Verständigung, Versöhnung und Freundschaft.

Das zu schaffen, geht nicht, indem man sich raushält und denkt: Lasst die mal machen. Da hat jeder einen Auftrag und deswegen bin ich auch so froh darüber, auf Veranstaltungen wie der re:publica als Vertreter der Katholischen Kirche auftreten zu können.

Vielleicht wäre Social Media die Möglichkeit für die Kirche, vollends zu sich selbst zu kommen“

Das klingt nach ganz neuen Möglichkeiten für die Kirche, um heute zu ihren Mitgliedern durchzudringen.
Definitiv. Vielleicht wäre Social Media die Möglichkeit für die Kirche, vollends zu sich selbst zu kommen. Die Vorstellung von Kirche als einer Gemeinschaft bedingt den wechselseitigen Austausch. Nach den 500 Jahren seit dem Buchdruck und der einseitigen Massenkommunikation müssen wir uns auf eine Kommunikation einstellen, die wirklich im engsten Sinne des Wortes dialogisch ist. Das sind fantastische Möglichkeiten, aber es ist auch eine enorme Herausforderung.

Mit, zugegeben, ein wenig Belustigung, habe ich festgestellt, dass Papst Franziskus kürzlich einen Talk zur TED-Konferenz in Kanada beisteuerte. Ist das Teil einer neuen Kommunikationsstrategie der Katholischen Kirche?
Was ich seit einigen Jahren wahrnehme, ist eine sehr große Ungleichzeitigkeit. Dazu nimmt auch das netzpolitische Papier sehr eindeutig Stellung: Die Kirche will keine Ausschlüsse produzieren, indem wichtige Inhalte und Diskurse nur noch auf bestimmten, sozialen Kanälen laufen. Natürlich stellt sich die Frage, wie neue, andere Zielgruppen und vor allem junge Menschen erreicht werden können.

Wenn ich als Kirche mit denen in Kontakt treten will, muss ich mir wohl oder übel überlegen, wie ich auf deren Medien heute stattfinde. Es reicht andererseits sicher nicht, alles online stattfinden zu lassen. Ich befürchte, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis diese Frage gelöst sein wird, aber es passiert tatsächlich auch schon eine ganze Menge.

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Könnte es diese Herausforderung sein, die aktuell noch dafür sorgt, dass die Kirchenaustritte Jahr für Jahr steigen? Kommen kirchliche Botschaften einfach nicht bei den jungen, digital vernetzten Menschen an?
Das müsste im Zweifel ein Statistiker oder Kirchensoziologe beantworten. Ich glaube nämlich, dass es nicht nur junge Menschen sind, sondern viele Erwachsene, denen, leider Gottes, vermittelt wird, dass sie Geld sparen, wenn sie aus der Kirche austreten, und die dabei übersehen, dass damit dem sozialen Engagement der Kirche die Finanzierung fehlt.

Das netzpolitische Papier setzt noch einmal einen anderen Akzent, nämlich auf das Thema Bildung. Die Botschaft lautet: Wir müssen uns, auch als Kirche, im Bildungssektor engagieren. Da fängt die soziale Entwicklung und Teilhabegerechtigkeit an.

Sie sprechen in dem Papier auch von einem Werteauftrag. Wie kann die Katholische Kirche diesen noch verbreiten, wenn viele Menschen die Institution als veraltet ansehen?
Wir wollen ja keine Indoktrination betreiben, wie sie in früheren Jahrhunderten noch stattgefunden hat. Kirche leistet letztlich einfach ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs. Dabei ist das Eine, diesen Beitrag so zu formulieren, dass er auch bei ihren, sagen wir Verbrauchern, ankommt. Das Andere ist, mit Papieren wie diesem auf Veranstaltungen wie der re:publica mit politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern, Vertretern und Gruppierungen darüber in den Austausch zu gehen.

„Wertediskurs vorantreben und Werte ständig aktualisieren“

Reges Interesse am Talk von Andreas Büsch auf der diesjährigen re:publica in Berlin.
Reges Interesse am Talk von Andreas Büsch auf der diesjährigen re:publica in Berlin.
Foto: Andreas Büsch

Sie fordern in dem Papier die Erhaltung des herrschenden, ethischen Standards. Gleichzeitig wollen sie einen Wertediskurs fördern. Widerspricht sich das nicht?
Das sehe ich anders. Da gibt es die inhaltliche und die formale Seite. Inhaltlich senden wir eine klare Botschaft, die heißt: Wir brauchen keine neue, irgendwie geartete, digitale Ethik, sondern wir müssen die herrschenden Werte der Kommunikation und Interaktion fördern, zum Beispiel auch in der Kindererziehung. Die formale Seite bedeutet, mit Papieren, Diskussionsrunden, Foren, Veranstaltungen den Wertediskurs voranzutreiben und die Werte ständig zu aktualisieren.

Dennoch: Wie erfolgreich und fruchtbar kann ein Diskurs sein, wenn die Katholische Kirche von ihren alten Werten gar nicht abrücken wird?
Ich bin mir nicht sicher, ob eine solche These in dem angesprochenen Diskurs überhaupt relevant ist. Angesichts des widerwärtigen, menschenverachtenden Hasses im Netz brauchen wir keine irgendwie geartete Diskussion darüber, was geht und was nicht. Da werden einfach Grenzen überschritten. Dagegen muss man etwas tun, ob kirchlich begründet oder nicht. Die Meinungsfreiheit hört einfach auf, wenn die Würde anderer beeinträchtigt wird.

Wie sehen Sie da den Bezug zu ihren Forderungen an die Politik, die mit dem Papier gestellt werden?
Die Politik ist letztendlich für die Gestaltung dieser Gesellschaft zuständig. Dazu gehört auch die Einführung und Einhaltung von moralisch-ethischen Standards.

Und da können Kirche und Politik zusammenarbeiten?
Ich habe durchaus den Eindruck. Unsere Anliegen sind ja ähnlich: Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit werden immer wieder auch politisch diskutiert. Heruntergebrochen auf die Ebene von Schulen und Lehrerausbildung – ich habe letztens wieder einen Workshop für Schulen gegeben – zeigt sich, was schlichtweg fehlt, obwohl der Wille zur digitalen Transformation da ist: das Geld. Der ganze Diskurs zur Digitalisierung im Bildungsbereich dreht sich darum.

Deshalb ist letztlich schon die Politik gefordert, deren Schwerpunkt aber meist auf der Frage liegt: Wie lässt sich etwas politisch inszenieren? Mit Calliope-Mini-Computern Schülern das Programmieren lehren, ist schön und gut. Wenn aber die grundlegende Bildung dabei auf der Strecke bleibt, ist das seitens der Politik kein nachhaltig durchgesetzter Bildungsauftrag.

„Es gibt Menschen, die aus gutem Grunde offline sind“

Andreas Büsch bei seinem Talk auf der re:publica 17
Andreas Büsch bei seinem Talk auf der re:publica 17
Foto: Angelika Kamlage

À propos nachhaltig: Wie sollte sich die Katholische Kirche in digitalen Zeiten aufstellen, um nachhaltig zu handeln und als Institution Bestand zu haben?
Am Bestand der Institution habe ich, ehrlich gesagt, für die nächsten Jahrhunderte keine Zweifel.

Warum?
Das ist das historisch Gewachsene, der Umstand, dass diese Institution trotz vieler Zweifel immer noch lebt und überlebt. Aber wie soll sie sich aufstellen? Es gilt, denke ich, die Ungleichzeitigkeit, die ich bereits angesprochen hatte, zu befragen und zu gestalten. Es gibt Menschen, die aus gutem Grunde offline sind und bleiben wollen. Die kann und will ich als Kirche nicht abkoppeln, sondern auch erreichen.

Auf der anderen Seite sehen wir eine gesamtgesellschaftliche Verschiebung hin zu digitaler Kommunikation. Die Service-Angebote meiner Gemeinde möchte ich eben auch online haben, da wird Kirche sicherlich schauen müssen, wie sie sich im Digitalen einbringt. Vieles gibt es natürlich schon, Gebets-Apps, regionale Angebote der Gemeinden und so weiter.

Nur, weil die Deutsche Bischofskonferenz ein Papier herausbringt, heißt das ja aber noch lange nicht, dass die Gemeinden auch die Mittel und den Willen haben, sich umzustellen, um die Selbstverpflichtungen umzusetzen.
Ich beobachte seit Anfang der 90er sehr wohl, wie sich Kirche im Netz entwickelt und sehe, dass es heute durchaus üblich ist, dass die Diözesen überwiegend gute Content-Management-Systeme vorhalten, die die Gemeinden nutzen können, um sich online zu präsentieren. Ich selbst habe vor Jahren eine Studie zur Social-Media-Fähigkeit der Diözesen durchgeführt. Als ich sie jüngst überprüft habe, stellte ich fest: Da tut sich was. Es werden zum Beispiel vermehrt Social-Media-Redakteure eingestellt. Dass natürlich nicht in jeder Gemeinde dieselben Mittel für diese Prozesse da sind, ist klar.

„Über die Zielerreichung bleibt noch zu reden“

Ich bin selbst Katholikin, allerdings nicht praktizierend. Wie würden Sie beispielhaft mich mit den digitalen Anliegen der Kirche erreichen wollen?
Habe ich doch. Sie haben mich auf der re:publica angesprochen. Nein, Spaß beiseite. Veranstaltungen sind sicherlich nur ein Baustein. Kirche engagiert sich ja nicht nur in Gottesdiensten, obwohl sie sicherlich zum Kerngeschäft gehören. Aber sie hat ja auch kulturelle Angebote, Akademieabende, Gesprächskreise, Filmabende, Diskussionsrunden, und das sind Bestandteile des gesellschaftlichen Diskurses. Gute Public Relations sind eins, Inhalte sind das andere. Über die Zielerreichung bleibt noch zu reden.

Wie digital sind Sie selbst im Alltag?
Ein Kollege sagte zu mir, ich wäre schon ein Early Adopter. Neue Geräte schaffen es recht schnell in meinen Lebensraum. Ich bin in Sozialen Netzwerken unterwegs und über drei Messenger erreichbar, habe meine private Website seit Ende, beruflich seit Anfang bis Mitte der 90er. Doch, ich bewege mich relativ digital.

Allerdings bin ich mit Mitte 50 nicht mehr an jedem heißen Scheiß der Kinder und Jugendlichen unbedingt interessiert. Schon aus Datenschutzgründen werden Sie auf meinem Smartphone weder den Facebook Messenger noch Snapchat finden. Trotzdem erlebe ich die Generation meiner Kinder und Enkelkinder als Generation, die nicht, wie häufig behauptet, digital verblödet, sondern auch außerhalb des digitalen Raums leben kann.

Das Interview fand nach der re:publica statt.

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