Besucher müssen weiße Kittel anziehen, der Hygiene wegen. Wer dann noch eine Art Duschhaube aufsetzt und in Schuhüberzieher hineinschlüpft, darf in Begleitung der Guides einen der Aufzüge nehmen, die hinunter in die Fabrikhalle der SongShan Lake Factory von Huawei führen.
„Preserving the Lean Production“ (übersetzt: „ Die schlanke Produktion erhalten“) steht über den Aufzugtüren. „Lean“ ist als Begriff eher aus dem Start-up-Bereich bekannt. Damit werden Start-ups oder Produkt-Launches bezeichnet, die mit möglichst wenig Kapital unternommen worden sind. Dabei liegt der Fokus statt auf einer langfristigen Vorab-Planung auf einem „ Learning by doing“, wenn das Produkt bereits auf dem Markt ist.
Diese Vorgehensweise trifft auf Huawei wiederum nicht ganz zu. Nur nach aufwändigen Tests sind zum Beispiel die Smartphones des Konzerns im Markt überhaupt zulässig (futurezone hat berichtet). Gerade Geräte neuer Produktlinien benötigen mindestens sechs Monate bis zur Marktreife. Das ist zwar auch nicht lange, als „lean“ würde es der Start-up-Gründer aber vielleicht nicht bezeichnen.
Aber Huawei ist schließlich kein Start-up, sondern ein Konzern mit 180.000 Mitarbeitern weltweit und Erlösen von zuletzt 75,1 Milliarden US-Dollar. Und da er zunehmend in globale Märkte eindringen will, sind auch Besucher in der Factory nichts Ungewöhnliches. Am SongShan Lake, zwischen der südchinesischen Metropole Shenzhen und der Stadt Dongguan idyllisch am gleichnamigen See angesiedelt, liegt eine der Huawei-Produktionsanlagen, die SongShan Lake Factory. Fotos und Videoaufnahmen sind nicht gestattet, nur so könnten die Betriebsgeheimnisse gewahrt werden.
Noch stellen Maschinen und Menschen hier 4G-Module und Platinen her, die später in die smarten Geräte von Huawei eingesetzt werden. Seit Anfang 2009 arbeitet die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Konzerns jedoch bereits an der nächsten Generation des Mobilfunk: 5G.
Mit 5G auf dem Markt – Huawei rechnet mit 2020
In der recht großen, aber nicht überdimensionalen Fabrikhalle herrscht eine konzentrierte Spannung. Die Angestellten tragen ebenfalls Kittel, Haube und Schuhüberzieher, starren auf Computerbildschirme oder überwachen die verschiedenen Prozesse, vom Fließband bis zur Kontrolle der fertigen Platinen.
Aktuell befindet sich Huawei in der zweiten Entwicklungsphase von 5G. Es geht nun darum, Standards für alle Anwendungsbereiche des Breitbands zu definieren, die Entwicklung von Prototypen zu beschleunigen und verlässliche Partner aus der Industrie zu finden, um ein Netzwerk aufzubauen. 5G ist eine langfristige Investition: 2020 soll das Super-Breitband von Huawei am Markt sein, Mitte der 2020er Jahre dann bereits massentauglich. Zum Vergleich: In Deutschland erwartet Verkehrsminister Dobrindt zwar einen zweistelligen Milliardenbetrag an Investitionen in das Breitband. Die EU-Kommission rechnet in Europa ebenfalls 2020 mit seiner Marktreife.
Einer Studie nach sind bereits heute 76 Prozent der chinesischen Bevölkerung ausschließlich mobil im Internet unterwegs. Dafür benötigen sie nicht nur in ihren Mega-Cities mit mehr als zehn Millionen Einwohnern ein Datennetz, das leistungsfähig, schnell und gut ausgebaut ist. „4G wird schon bald nicht mehr ausreichen, um die Bedürfnisse gerade in bevölkerungsreichen Ländern befriedigen zu können“, meint Joe Kelly, Vice President for International Corporate Communications bei Huawei.
Einer Erhebung von Statista zufolge wird für 2018 ein globales Datenvolumen über mobile Endgeräte von 17 Exabytes pro Monat erwartet. Das sind umgerechnet 18,3 Milliarden Gigabyte pro Monat. Heruntergerechnet auf allein die Anzahl der Smartphone-Nutzer weltweit zu dieser Zeit (schätzungsweise 4,5 Milliarden http://www.ericsson.com/ericsson-mobility-report ) hätte jeder Nutzer rund 4,1 Gigabyte pro Monat zur Verfügung. Gut möglich, dass diese Zahl vor dem Hintergrund des Wegfalls von zum Beispiel der EU-Roaminggebühren noch steigt.
In der Fabrik klingelt es plötzlich. Nicht wie der Sound eines Standard-iPhone-Klingelns, sondern melodischer. Um die Ecke kommt ein Roboter, der auch einem Film aus den 70er- entstammen könnte. Auf einer Schiene zieht er autonom seine Runden. Die Melodie spiele er, so die menschlichen Angestellten, um auf sich aufmerksam zu machen, damit sich Mensch und Maschine nicht in die Quere kommen und Produktionsabläufe hemmen. Als der Bot weiterfährt, wirkt er wie ein normaler Fabrikmitarbeiter, nur eben etwas blechern, elektronisch und viel musikalischer.
Mit 5G im Auto – oder anderweitig in der Smart City unterwegs
Nicht in erster Linie der Consumer-Bereich ist für Huawei mit seinem 5G-Breitband interessant. Die Entwicklung eröffnet weitere Anwendungsfelder: Mobilität und Smart City. Und in diesen Bereichen konnte der Konzern im Juni diesen Jahres gleich mehrere Superlative mit 5G-Tests aufstellen:
Ferngesteuerte Fahrtechnologie
- die Demo der weltweit ersten ferngesteuerten Fahrtechnologie mit einem Personenfahrzeug, zusammen mit SAIC Motor und China Mobile: In dem Test war der Fahrer in der Lage, aus einer Entfernung von 30 Kilometern sein Fahrzeug, das mit HD-Kameras und damit mit einer 240-Grad-Perspektive ausgestattet war, über ein 5G-Breitband zu steuern. Er konnte die volle Kontrolle über den Wagen behalten, weil die Bilder der Kameras in weniger als zehn Millisekunden übertragen wurden. Die Technologie ist auch für das autonome Fahren interessant.
Prototyp eines 5G-Kernnetzwerk
- die Präsentation des weltweit ersten 5G-Kernnetzwerk-Prototypen auf SBA-Basis. Der Prototyp basiert auf Standards des 3rd Generation Partnership Project (3GPP), einer weltweiten Kooperation von Gremien für die Standardisierung im Mobilfunk. Ein marktreifer Standard von 3GPP wird für Mitte 2018 erwartet. Mit 5G sollen die Netzwerke der Anbieter – Huawei arbeitet unter anderem mit Vodafone und T-Mobile zusammen – agiler, flexibler, messbarer und offener werden – ein Cloud Native-Design sozusagen. Den Endkunden können so mehr und schnellere Services geboten werden.
Radiowellentechnologie für VR und AR
- einen Durchbruch mit Radiowellentechnologie: Eine 4K-Videokonferenz mit drei Parteien konnte in Echtzeit durch 5G realisiert werden. Huawei nutzte dafür die 39-Gigaherz-Radiowellen. Die Reichweite lag bei zwei Kilometern mit Übertragungshöchstgeschwindigkeiten von 1,3 Gigabits pro Sekunde (Gbps) für jeden einzelnen Teilnehmer. Noch dazu fand der Test in einer der größten Gewerbegebiete Japans statt, in dem sich ohnehin schon viele Daten bewegen. Der Test gilt als entscheidender Schritt hin zu einer Kommerzialisierung von 5G in Form von Virtual Reality- oder Augmented Reality-Applikationen.
Vorbild für das globale 5G der Zukunft in Kanada
- die erfolgreiche Fertigstellung einer drahtlosen 5G-Verbindung mit einer globalen 3GPP-Standard-Plattform. Das hört sich kompliziert an, ist jedoch eine der fortschrittlichsten Verbindungstypen überhaupt und dient als Vorbild für das globale 5G der Zukunft. Mehr als 30 Gigabits pro Sekunde konnten mit 28 Gigaherz in Vancouver, Kanada übertragen werden. Dort steht das „5G Living Lab“, in dem Mobilfunkanbieter TELUS und Huawei innovative Technologien in einer Art wirklichkeitsgetreuen Kulisse testen, also einer Kulisse mit typischer Büroausstattung und Transportnetzwerken. Laut Huawei können durch die Tests Applikationen entstehen, die man sich aus heutiger Sicht noch gar nicht vorstellen kann. Kunden aus Vancouver werden deshalb auch früher als alle anderen Zugang zu diesen Technologien haben.
Mit 5G auf der CeBIT – Huawei-Roboter mit Telekom-Würfel
In Deutschland zeigte beispielsweise die Deutsche Telekom, ein Partner von Huawei, auf der CeBIT 2017 in Hannover, wie die Echtzeit-Kooperation von Robotern dank „garantierter Latenzzeiten“ von 5G erreicht werden kann. Ein Use Case, der auch im Ausstellungsraum des Forschungs- und Entwicklungscenters von Huawei in Shanghai den Besuchern präsentiert wird.
Zwei Roboterarme transportieren einen rosa Würfel von A nach B. Echtzeit-Cloud-Robotik nennt man das. Drückt man auf einen Knopf, ändert sich die Latenzzeit auf 80 Millisekunden und die Roboterarme lassen den Würfel einfach fallen. Durch den Einsatz von 5G soll erreicht werden, dass die Roboter synchron arbeiten, um eine einwandfreie Produktion zu gewährleisten. „5G ist kein Netz für alle“, mutmaßte Ralf Wilking von der Telekom noch auf der CeBIT.
Das liegt vermutlich auch an der noch unterrepräsentierten Lobby für das Breitband. Mit einem „5G Action Plan“, den die EU mittlerweile teilweise übernommen hat, haben die großen Telekommunikationsanbieter Europas vor ein paar Jahren verkündet, dass man 5G für sogenannte „Special Services“ benötige, etwa für telechirurgische Eingriffe, wenn also ein Spezialist aus den USA eine Operation in Deutschland mittels Echtzeit-Cloud-Robotik durchführt.
5G – ein „Netz für alle“?
Die Regeln zur Netzneutralität der EU machen es den Anbietern aber nicht einfach, es gibt diverse Ausnahmen, auch die Telechirurgie unterliegt strengen Auflagen, die Netzkapazität muss „ausreichen“. futurezone.at-Autorin Barbara Wimmer zufolge „bleibt abzuwarten, ob dies mit den von der Deutschen Telekom geplanten Vorstellungen d’a ccord geht. Die Ansage: ‚5G ist kein Netz für alle‘ lässt anderes erwarten. Und es bleibt zu befürchten, dass dadurch anstatt einer schnellen Glasfaser-Anbindung mittels Verkehrsmanagement ein künstlicher Qualitätsunterschied eingeführt wird.“
Um zwölf Uhr klingelt es wieder, diesmal ist es aber eine Glocke, die die Mitarbeiter der SongShan Lake Factory versammelt zur Mittagspause ruft. Gegen 17 Uhr haben die meisten Feierabend. Vermutlich werden viele von ihnen ihre Pause mit einer Portion Smartphone-Konsum füllen. Und das vielleicht ja auch in bewegten Bildern. Denn bei einem sind sich Experten einig: Die Zukunft des Internet-Verkehrs gehört den Videos. Der US-amerikanische Telekommunikationskonzern Cisco schätzt, dass im Jahr 2019 ganze 80 Prozent des Internet-Traffics Video-Content sein wird – und das obwohl Video im vergangenen Jahr „noch nicht einmal“ 60 Prozent des Gesamt-Traffics erreicht hatte. Auch deshalb muss das LTE der 5. Generation her. Also doch ein „Netz für alle“?
Disclaimer: Der Besuch der Produktionsstätten, Testing-Labors und Forschungszentren erfolgte auf Einladung von Huawei.
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