In zahlreichen Karriereratgebern und Coaching-Gesprächen wird Frauen in Führungspositionen immer wieder empfohlen, nicht „zu nett“ im Business zu sein, sondern lieber zu lernen, das „bossy-behaviour“ vieler Männer mitzuspielen. Dabei macht das aufgesetzte Ellenbogen-Ausfahren nicht nur krank und unglücklich, sondern unterbindet langfristig auch eine Super-Führungsstärke.
Der Dämon des „Nice Girl“
„Wenn Du jeden glücklich machen willst, sei kein Leader – werde lieber Eisverkäufer”, soll Steve Jobs mal gesagt haben. Ein markanter Spruch eines Genies, mit dem sich nun manch eine Führungskraft in Unternehmen gerne schmückt und so vermeintlich notwendig-hartes Durchgreifen und Zuckerbrot- und Peitsche-Verhalten rechtfertigt.
In der Corporate World wird nett sein oft gleichgesetzt mit schwach sein, sich unterlegen fühlen und ausnutzen lassen. Und wenn das Vorabend-Date mit den Worten quittiert wird: „der Typ war ganz nett“, dann war es häufig auch das letzte Date. Das nette Mädchen „bekommt nicht das schicke Eckbüro“ und „wird nicht reich“, um nur zwei Karriereratgeber-Bestseller zu zitieren. Warum das so sein soll? Die Antwort liegt auf der Hand: weil die Welt da draußen in den Bürotürmen und Führungsetagen so ist – selbstüberschätzend, arrogant und immer auf den eigenen Vorteil aus ist. Wer das Spiel nicht mitspielt, kann es auch nie gewinnen. Ist doch eigentlich ganz klar. Also nett und hilfsbereit in die Handtasche packen, bossy-Blick aufsetzen und ab in den Meetingraum.
Freundlichkeit als Führungsbonus
Auch ich habe am Anfang meiner Karriere im einen oder anderen Feedbackgespräch gehört, dass ich härter sein soll, nicht so weich und freundlich. Meine Reaktion als junge, ambitionierte Mitarbeiterin: Fassade aufsetzen, Härte spielen und möglichst wenig „Entschuldigung“ und „Danke“ sagen. (Es hat nur so mittelmäßig geklappt.) So sah ich mich schon auf dem Weg werden wie Menschen, die ich eigentlich nicht mag – und denen ich selber schon gar nicht mit Leidenschaft folgen will. Hier setzt genau die Stärke des „Nettseins“ ein.
Im authentischen Nett sein steckt eine Riesenportion Empathie, eine grundsätzlich menschenfreundliche Haltung. Empathische Menschen verfügen über viel Beziehungsintelligenz, begegnen Menschen respektvoll und wertschätzend – und können ihr eigenes Verhalten auf ihre Gegenüber gut anpassen – und zwar nicht aus Gefallsucht, sondern um die eigenen Ziele zu erreichen.
Selbstbewusstsein kombiniert mit Liebenswürdigkeit birgt im Kontext von Führung einen großen Vorteil. Menschen folgen Menschen, die ihnen grundsätzlich gut tun und denen sie vertrauen. Vertrauen bildet sich durch langfristig konsistentes Verhalten und die Gewissheit, dass man nicht hintergangen wird. In Zeiten des Kampfes um die besten Talente ist das eine Stärke, die nicht unterschätzt werden sollte.
Bleibt Euch treu!
Daher Mädels (und auch Jungs – den das gilt natürlich nicht nur für Frauen, doch dort ist das „zu nett-Syndrom“ häufiger zu finden), lasst Euch nicht reinreden, dass Ihr anders werden sollt, um im System erfolgreich zu sein. Bleibt so wie Ihr seid – und wenn das freundlich und liebenswürdig ist, dann – bitte bitte – bleibt so! Macht es zu Eurer Führungsstärke und nutzt Euren Vorteil und inspiriert und motiviert damit die Menschen um Euch um Eure Ziele zu erreichen. Ganz konkret heißt das:
- Bleibt authentisch. Kreiert keine Kopie von dominant-patriarchalischem Verhalten, denn diese kann nur schlechter werden als das Original und Euch zudem unglücklich machen.
- Hört auf Euer Bauchgefühl. Wenn sich für Euch ein bestimmter Führungsstil nicht richtig anfühlt, wird dies seine Gründe haben, auch wenn sich viele andere um Euch herum anders verhalten.
- Verwechselt nett und freundlich nicht damit, alles für jeden zu tun. Kennt Eure eigenen Grenzen und Eure eigenen Interessen und vertretet diese.
Passt Euch nicht dem System an, sondern ändert das System. Nur so kann sich langfristig Unternehmens- und Führungskultur verändern – und Ihr tut Eurer Karriere und Euren Mitarbeitern einen Riesengefallen.
Über Miriam Mertens
Miriam Mertens‘ Leidenschaft gilt der Tech-Branche, Startups und dem Weltfrieden – und das am besten alles drei in Kombination. Sie ist anerkannte Kennerin und Gestalterin der deutschen Start-up-Szene und arbeitet aktuell an ihrem eigenen Start-up im Bereich Mindfulness & Leadership mit dem Ziel, Menschen zu helfen, die Komplexität der Digitalisierung besser zu managen und zu gestalten.