Eine Teekanne
aus edlem
Porzellan
umkreist die Sonne. Weit draußen, irgendwo in der Nähe des Mars, zieht sie ihre Bahnen durch den Weltraum. Sie ist so klein, dass wir sie selbst mit unseren besten Teleskopen niemals finden werden. Wir können ihre Existenz nicht beweisen, wir müssen einfach an sie glauben.
Und wenn doch jemand nicht daran glaubt? Dann soll er erst mal das Gegenteil nachweisen! Kann man mit absoluter Gewissheit ausschließen, dass sich im All eine Porzellanteekanne befindet? Nein. Eben. Die Frage nach der Existenz einer interplanetaren
Teekanne
ist also wissenschaftlich nicht zu klären. Beide Meinungen müssen zugelassen werden. Sagen wir, die Chancen stehen 50:50.
Die Suche nach dem Monster von Loch Ness
Dieses absurde Gedankenspiel stammt vom britischen Philosophen
Bertrand Russell
. Er wollte damit zeigen, wie wissenschaftliches Argumentieren funktioniert – oder wie es eben nicht funktioniert. Wenn eine Aussage ebensowenig beweisbar ist wie ihr Gegenteil, dann bedeutet das noch lange nicht, dass man beide Möglichkeiten in gleichem Maß ernst nehmen soll.
Bertrand Russell
verwendete dieses Argument, weil ihm als Religionskritiker vorgehalten wurde, dass er die
Nichtexistenz
Gottes nicht beweisen kann. Doch die
Nichtexistenz
von etwas lässt sich prinzipiell nicht nachweisen. Die Beweislast liegt bei dem, der behauptet, dass es existiert.
Absoluter Nachweis ist nicht möglich
Wie würden wir etwa die Frage klären, ob es das Monster von Loch Ness
tatsächlich gibt? Wir können teure Spezialgeräte einsetzen und jeden Kubikmeter des
Loch Ness
mit Scheinwerfern und Echoloten untersuchen. Aber wenn man nichts findet, ist damit noch lange nichts bewiesen. Vielleicht ist das Monster geschickt den Suchteams ausgewichen. Oder es ist sehr klein. Oder es vergräbt sich bei Gefahr im Schlamm. Der absolute Nachweis, dass im
Loch Ness
kein Monster wohnt, kann uns gar nicht gelingen. Das ist aber auch nicht nötig. Argumente muss der liefern, der an das Monster glaubt.
Gefährlich – bis zum Beweis der Ungefährlichkeit?
Das klingt ziemlich simpel, aber genau über dieses philosophische Problem stolpern wir ziemlich oft – zum Beispiel, wenn wir diskutieren, ob man neue Technologien aus Sicherheitsgründen verbieten soll. Sind gentechnisch veränderte
Nahrungsmittel
gefährlich? Seit vielen Jahren werden in vielen Ländern gentechnische Pflanzen genutzt, erforscht und beobachtet. Schädliche Auswirkungen hat man bis heute keine gefunden. Doch die absolute
Ungefährlichkeit
einer Sache ist genauso unbeweisbar wie die Nichtexistenz
einer kosmischen
Teekanne
.
Gen-Raps provoziert irrationale Reaktion
Und so wurden kürzlich in Deutschland
und
Frankreich
über 10.000 Hektar Rapsfelder zerstört, weil man in der Saat einen winzigen Anteil genveränderter Samen gefunden hatte. Denselben Raps hätte man importieren und essen dürfen, nur zur Aussaat in
Europa
war er nicht freigegeben. Ist das noch eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme? Oder ist das ähnlich irrational wie die Angst, eine kosmische
Teekanne
vom Mars könnte zur Erde stürzen und uns auf den Kopf fallen?
Im Zweifelsfall Vorsicht walten lassen, keine absoluten Verbote
Die Grenze zwischen sinnvoller Vorsicht und irrationaler Angst lässt sich wissenschaftlich nicht exakt definieren. Aber wer bis zum Beweis der Unbedenklichkeit ein absolutes Verbot verlangt, der begeht einen logischen Fehler, denn einen solchen Beweis kann es niemals geben.
Das gilt für Gentechnik-Sorgen genauso wir für die Angst vor Handystrahlung oder die Skepsis gegenüber selbstfahrenden
Autos
. Wir sollten im Zweifelsfall immer vorsichtig sein und folgenschwere technologische Änderungen kritisch beobachten. Aber auch unsere eigenen Ängste müssen wir kritisch beobachten, um sicherzugehen, dass wir uns nicht bloß vor einer irrationalen Russelschen
Teekanne
fürchten.
Zur Person
Florian Aigner
ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf futurezone.at.