Veröffentlicht inDigital Life

o2-Kunden überwacht: Experten kritisieren „tiefgreifenden Eingriff in die Rechte“

Im Fall Boystown führte die Überwachung von Telefónicas o2-Netz zur Festnahme eines Verdächtigen. IP-Catching betraf auch unbeteiligte o2-Kund*innen, was rechtliche Bedenken auslöste.

o2-Logo
© imago images / CHROMORANGE

Datenvolumen abfragen bei o2: Schon raus oder noch mittendrin?

Du wurdest wieder einmal von langsamen Internet überrascht?So kannst du das Datenvolumen abfragen bei o2.

Fast vier Jahre ist es nun her, dass das Amtsgericht Frankfurt am Main jene Überwachungsmaßnahme anordnete, die schließlich zur Identifizierung des mutmaßlichen Betreibers der Plattform Boystown führen sollte. Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte den Fall über ein Jahr lang ohne Erfolg untersucht, bis eine ausländische Behörde entscheidende Informationen lieferte. Sie brachten den pseudonymen Admistrator „Phantom“ mit einem Mobilfunkanschluss der o2-Mutter Telefónica in Verbindung.

o2-Kundschaft überwacht – aus gutem Grund

Boystown war eine illegale Online-Plattform im Darknet, die für den Austausch kinderpornografischer Inhalte genutzt wurde. Sie existierte seit mindestens 2019 und hatte laut Ermittlungen weltweit über 400.000 Mitglieder. Das Netzwerk war auf die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen von Jungen spezialisiert und auf verschiedene Sprachen ausgelegt, um Nutzende international anzusprechen.

Die Betreiber der Plattform hatten strenge Regeln, um die Anonymität ihrer Mitglieder zu schützen und den Zugang für die Strafverfolgungsbehörden zu erschweren. Sie nutzten dabei Technologien wie das Tor-Netzwerk und spezielle Verschlüsselungen, um die Identität von Nutzenden und des „Phantoms“ zu verschleiern.

Im April 2021 wurde Boystown im Rahmen einer groß angelegten internationalen Operation von Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, den USA und anderen Ländern abgeschaltet. Dabei nahmen die Ermittler*innen mutmaßliche Betreiber und Administratoren der Seite fest – unter anderem Dank der Daten der o2-Mutter Telefónica.

Auch interessant: Telekom-Kunden aufgepasst: So kommen Betrüger jetzt an deine Daten

„Viele ungeklärte Rechtsfragen“

In Folge des Tipps aus dem Ausland hatte das BKA den Mobilfunkbetreiber dazu angewiesen, sein Netz zu überwachen. Ziel der Aktion war es, Verbindungen zu einem zuvor festgestellten Server zu identifizieren. Das IP-Catching betraf eine breite Nutzer*innenschaft – also mitunter etliche Menschen, die in keinerlei Verbindung zu Boystown standen. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main betonte jedoch gegenüber der Tagesschau, dass diese „unvermeidbare Drittbetroffenheit“ unschuldiger o2-Kund*innen angesichts der Schwere der Straftaten verhältnismäßig gewesen sei.

IP-Catching ist eine Methode, bei der die IP-Adressen Nutzender erfasst wird, wenn diese eine bestimmte Webseite oder einen Link aufrufen. Diese Adresse ist eine eindeutige Kennung, die Geräte im Internet identifiziert, und kann genutzt werden, um den ungefähren Standort zu bestimmen oder die Online-Aktivitäten einer Person nachzuverfolgen.

Die Vorgehensweise der Ermittlungsbehörde sei „sehr ungewöhnlich“ und bringe „viele ungeklärte Rechtsfragen“ mit sich, zitierte die Tagesschau Dominik Brodowski, Professor für Digitalisierung des Strafrechts an der Universität des Saarlandes, aus einem Interview für Panorama und STRG_F.

Es handele sich bei den Maßnahmen um ein „hochgradig kreatives Vorgehen der Ermittlungsbehörden, bei dem verschiedene Eingriffsgrundlagen der Strafprozessordnung munter zusammengewürfelt wurden“, so Brodowski weiter. Die Überwachung der Kundinnen und Kunden des Anbieters o2 habe „auch in der konkreten Ausgestaltung die Grenzen des rechtlich Zulässigen zumindest ausgereizt, wenn nicht sogar überschritten“.

Auch interessant: An 5 Anzeichen erkennst du, ob dein Handy dich ausspioniert

Ausdrückliche Regelung gefordert

Das BKA beendete die Maßnahme bereits nach wenigen Tagen, da man den Verdächtigen schnell identifizieren konnte. Telefónica erklärte, dass die Daten unbeteiligter Nutzender sofort gelöscht und nicht an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben worden seien.

Die Überwachung führte zur Verhaftung von Andreas G. aus Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2022 wurde er vom Landgericht Frankfurt am Main zu über zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Andreas G. kooperierte zudem mit den Ermittler*innen und half dabei, weitere Beteiligte der Plattform festzunehmen. Er verzichtete darauf, die Rechtmäßigkeit der „IP-Catching“-Überwachung vor Gericht anzufechten.

„Angesichts der Eingriffsintensität dieser Maßnahme, ihrer Streubreite und ihres Missbrauchspotentials braucht es jedenfalls dann eine klare Rechtsgrundlage“, so Brodowski, „wenn das IP-Catching mit einiger Regelmäßigkeit von den Strafverfolgungsbehörden durchgeführt wird“. Einen „tiefgreifenden Eingriff in die Rechte“ der unbeteiligten o2-Kundschaft kritisierte auch Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Der Gesetzgeber müsse Maßnahmen wie diese ausdrücklich regeln.

Quelle: Tagesschau

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hier kannst du den Betroffenen helfen.

Du willst mehr von uns lesen? Folge uns auf Google News.