Wenn man jemanden wie Sir Elton John (74) spielen darf, der jahrzehntelang mit dem Tod seiltanzte und zeitgleich noch immer eine der größten Hitmaschinen der Pop-Industrie ist, wiegt die Bürde schwer. Seit Jahrzehnten berührt der britische Entertainer die Menschen durch seine Musik bis ins Mark. „Kingsman“-Aufsteiger Taron Egerton (31) wagte 2019 in „Rocketman“ den Versuch, einen entscheidenden Lebensabschnitt der Pop-Ikone auf die Leinwand zu bringen – und triumphierte. Am 5. April (20:15 Uhr, ProSieben) gibt es das farbenfrohe Biopic endlich im Free-TV zu bestaunen.
Von Reginald Dwight zu Elton John
Elton John (Taron Egerton) marschiert in einem riesigen orangen Feder-Teufelskostüm und mit Strass besetzten Hörnern durch einen Gang. Dazu triumphale Klänge. Was zunächst aussieht wie der erste Auftritt des Exzentrikers, entpuppt sich rasch als ein Gang Richtung Selbsthilfegruppe. Von dort aus berichtet die Pop-Ikone rückblickend von ihrer verpfuschten Kindheit, unterjocht vom lieblosen Vater (Steven Mackintosh), über ihren Durchbruch mit Gefährte Bernie Taupin (Jamie Bell, 35) bis hin zu der endgültigen Legende Elton John.
„Mein Name ist Elton Hercules John und ich bin Alkoholiker, kokainabhängig, sexsüchtig, habe Bulimie und einen Shoppingzwang.“ In den 1970ern liefert Elton John zwar einen Topseller nach dem anderen, doch durch den permanenten Druck und den dauerhaften Drogenkonsum reihen sich auch seine Abstürze immer rasanter aneinander. Der Grund für dieses Karussell: Der Wunsch, von seiner Familie und von seinem ersten Liebhaber und Manager John Reid (Richard Madden, 34) und eigentlich allen so geliebt zu werden, wie er nun einmal ist. Als der etwas dickliche Brillenträger, der es liebt, die Menschen mit seinen Liedern zu berühren.
Eine musikalische Zeitreise
Kaum hat man sich auf die überraschenden Szenerien eingelassen, reihen sich die größten Evergreens Elton Johns in klassischer Musical-Dramaturgie wie eine Art musikalische Perlenkette aneinander. „I Want Love“ wird dabei zum verzweifelten Schrei nach Liebe von Reginald Dwight, wie Elton Johns Geburtsname lautet. Die Instrumentalversion von „Your Song“ zu Hause auf dem Klavier im Beisein von Bernie Taupin markiert den Beginn der Hitmaschinerie des Duo Infernale und nach unendlich viel Drama, enttäuschter Liebe, Drogenmissbrauch und einem Selbstmordversuch erklingt am Ende wie eine trotzige Auferstehung „I’m Still Standing“.
Hält „Rocketman“ dem Queen-Vergleich stand?
Eine Pop-Ikone, die von England aus die Welt erobert, ein zerbrechlicher Exzentriker, der ein Abo auf Klinikbesuche innehat, ein Coming-out und Songs, die die Welt bis heute bewegen: Der Vergleich zu „Bohemian Rhapsody“ und seiner Hauptfigur Freddie Mercury (1946-1991) drängt sich geradezu auf.
Sogar der Regisseur ist gleich: Dexter Fletcher (55, „Eddie the Eagle“) war bei „Bohemian Rhapsody“ eingesprungen, nachdem Bryan Singer (55, „X-Men“) das Set verlassen musste. Der große Unterschied ist sowohl Glück für Elton John als auch ein kleiner Fluch für den Film: Elton John war – zusammen mit seinem Mann David Furnish (58) – als Produzent beteiligt.
Das Problem, dass dadurch entsteht, ist, dass Elton John zwar aus erster Hand berichtet, „Rocketman“ jedoch zu der eingangs erwähnten Therapiesitzung durch eine etwas verklärte Sonnenbrille daherkommt. In der Schlussszene erteilt sich der von seinen Dämonen kurierte John in einer Art Fantasiesequenz, umringt von den Personen seines Lebens, sogar eine finale Aussöhnung. Mit von der Partie ist gar der noch kindliche Reginald Dwight, den der von Drogen gebeutelte Elton John liebevoll umarmt und so Frieden mit ihm – und sich selbst – schließt. Das mag für manche Zuschauer zu übertrieben und exaltiert wirken, passt aber ins Gesamtbild.
Ehrlicher Umgang mit den Dämonen
Ganz fabelhaft funktioniert dagegen der entspannte Umgang mit seiner doch recht holprigen Biografie. Wo „Bohemian Rhapsody“ immensen Drogenkonsum und sexuelle Begegnungen Freddy Mercurys noch arg weichspülte, lässt Elton John in „Rocketman“ ziemlich tief blicken und wickelt die Zuschauer so um den Finger. Er scheut sich nicht, alle Exzesse in seiner rohen Brutalität zu zeigen. Und auch die Heirat und die nach einigen Jahren folgende Scheidung mit der Münchnerin Renate Blauel (68) sowie die verzwickte Liaison zu Manager John Reid werden gut erzählt.
Eindringlicher Hauptdarsteller
Der Brite singt alle Songs im Film selbst und schafft es dabei, Evergreens wie „Crocodile Rock“ und „Your Song“ einen frischen Wind einzuhauchen. Wie gut Egerton das inklusive vieler modischer Entgleisungen und queeren Charakterzügen gelingt, ist schlicht beeindruckend. Dabei ist „Rocketman“ kein klassisches Biopic, sondern ein quietschbuntes, verkitschtes, überquellendes Biografie-Musical mit einer Mischung aus „La La Land“, „Der Junge muss an die frische Luft“ und „Mamma Mia!“.
Fazit
„Rocketman“ feiert die homosexuelle, glitzernde, pompöse und niemals leise Pop-Ikone Sir Elton John. Dabei setzt der Film mit extravaganten Bühnenoutfits, einem charismatischen Hauptdarsteller und gänzlich „over the top“ agierenden Musical-Szenen auf enorm viel Spaß. Ankreiden kann man dem Film, dass man trotz der ganzen Therapien und Memoiren doch recht wenig über den Menschen Elton John erspäht. Doch vielleicht muss das so sein: Eine Legende wie Sir Elton John legt seine Sonnenbrille wohl niemals gänzlich ab.