Niemandem würde wohl hierzulande das winzige Städtchen Tschernobyl im Norden der Ukraine etwas sagen, hätte sich am 26. April 1986 im nahegelegenen Atomkraftwerk nicht ein Super-GAU zugetragen, dessen Auswirkungen sich auch heute, fast genau 35 Jahre später, noch bemerkbar machen. Rund zwei Jahre nach der Veröffentlichung von „Chernobyl“ feiert die britisch-US-amerikanische Miniserie ab 12. April (20:15 Uhr) ihre deutsche Free-TV-Premiere auf ProSieben. Wer nun grübelt, ob er sich wirklich zur Primetime und in Doppelfolgen schier unfassbares Leid ansehen soll, dem seien hier die Gründe genannt, warum Serienschöpfer Craig Mazin (50) ein unmöglich zu ignorierendes Meisterwerk gelungen ist.
„Chernobyl“ ist ein fünfteiliges Mahnmal. Eines, das auf schonungslose, realistische und kaum zu ertragende Weise zeigt, welch jämmerliche Schicksale Ersthelfer, Feuerwehrleute und Bewohner der nahen bis entfernten Umgebung erlitten. Wie die Machthaber der UdSSR alles daran setzten, den Unfall zu vertuschen oder als Lappalie abzutun. Und wie eine noch größere Katastrophe um Haaresbreite und auf Kosten weiterer Menschenleben verhindert werden konnte.
Zuschauer sind geschockt und begeistert
Kaum eine Awardshow kam 2019 und 2020 umher, „Chernobyl“ mit Preisen zu überhäufen. Bei den Golden Globes gab es die Auszeichnungen als „Beste Miniserie“ und für den „Besten Nebendarsteller – Serie, Miniserie oder Fernsehfilm“ (Stellan Skarsgård, 69). 2019 wurden gar zehn Primetime Emmys abgeräumt.
Das paradoxe Empfinden, das „Chernobyl“ beim Publikum hervorruft, wurde und wird auch immer wieder bei einem Blick in die Sozialen Netzwerke überdeutlich. Einerseits „massiv unangenehm anzusehen“, „bis ins Mark erschütternd“ und „beklemmend“ sei die Serie. Andererseits aber auch „genial gut“, eine „10/10“, ein „Meisterwerk“ und eine Serie, „in der jede Einstellung, jeder einzelne Frame sitzt“.
Der Cast um die Hauptdarsteller Jared Harris (59), Emily Watson (54) und Stellan Skarsgård liefert durch die Bank Höchstleistung ab. Nicht die ganz großen Hollywood-Namen müssen sich in „Chernobyl“ durch die atomar verseuchte Schlacke quälen, sondern talentierte, aber größtenteils unbekannte Darsteller. Ihnen kauft man es dementsprechend sofort ab, als Jedermann von der Obrigkeit in den Tod – oder Schlimmeres – geschickt zu werden.
Die Realität schreibt die schrecklichsten Drehbücher
Ein perfider Trend zeichnete sich nach der Erstveröffentlichung im Mai 2019 ab – der Tourismus in das Unglücksgebiet boomte laut diverser Medienberichte geradezu. Katastrophen-Tourismus, der seines Gleichen sucht? Oder etwas anderes? Wohlwollend könnte attestiert werden, dass die Serie so unfassbare Dinge zeigt und schildert, dass die Zuschauer es mit eigenen Augen sehen müssen, um es glauben zu können. Definitiv wird man sich dabei ertappen, auf eigene Faust mehr über die Katastrophe von 1986 nachzulesen – und dabei feststellt, dass die Miniserie auf immens hohen Realismus setzt.
Wer „Chernobyl“ anschaut, für den wirken selbst Aufreger wie die „Rote Hochzeit“ aus „Game of Thrones“ wie eine Märchenstunde für Kinder. Kein Vergleich zu der realen Hölle aus „Chernobyl“, die so schwer zu ertragen und unmöglich zu ignorieren ist.