Mit zwei Monaten Verspätung findet in der Nacht von Sonntag (25. April) auf Montag (26. April) deutscher Zeit in Los Angeles die Verleihung der diesjährigen Oscars statt. Pandemiebedingt gab es in diesem Jahr zahlreiche Änderungen – von der Anzahl der eingeladenen Gäste bis hin zum roten Teppich.
Für Steven Gätjen (48), der in diesem Jahr ohne die Begleitung von Annemarie Carpendale (43) und Vivane Geppert (29) für ProSieben vor Ort berichten wird, ist das ebenfalls eine ungewöhnliche und aufregende Situation, wie er der Nachrichtenagentur spot on news erklärt. Was er von der wichtigsten Hollywood-Nacht erwartet und warum er über Chadwick Bosemans (1976-2020, „Black Panther“) Nominierung verwundert war, erzählt er im Interview.
Sie stehen schon seit vielen Jahren mit den Stars am roten Teppich. Gibt es in diesem Corona-Jahr überhaupt ein Schaulaufen der Stars?
Steven Gätjen: Wir sind zumindest unter der Prämisse nach Los Angeles gekommen. Schließlich ist die Einreise in diesem Jahr komplizierter. Wir haben der Academy gesagt, dass sich dieser produktionelle Aufwand nur lohnt, wenn wir auch Stars auf dem Teppich bekommen. Es wird auf jeden Fall einen roten Teppich geben, der wird aber anders aussehen. In den vergangenen Jahren war immer unfassbares Gedränge.
In diesem Jahr werden wir mehr Platz haben und es wird ein Standmikrofon geben im Abstand von zwei Metern. Und es sollen angeblich auch Stars kommen (lacht). Die Frage, die momentan im Raum steht, ist: Kommen sie mit oder ohne Maske? Wer kommt? Wie wird das genau ablaufen? Wir müssen schauen, was passiert…
Inwiefern wird sich das auf die Interviews am roten Teppich auswirken?
Gätjen: Bisher war es immer so, dass man versucht hat, einen Star möglichst lange bei sich zu halten, sobald man ihn gekriegt hat. Immerhin waren über 150 internationale und nationale Presseteams vor Ort. Dieses Jahr sind es nur 20. Werden die Stars dann überhaupt mit einer zweiten Person wie Management oder Pressesprecher/in über den Teppich laufen? Oder sind sie allein? Kriegen wir eine vorgegebene Zeit? Das ist alles spannend. Ich finde es total aufregend, weil wir uns jeden Tag fragen, was wir machen können.
Wie schwierig war es für Sie, dieses Mal nach Los Angeles zu fliegen?
Gätjen: Wir haben einen höchstens 48 Stunden alten negativen PCR-Test gebraucht. Die Academy hat extra gesagt: Nicht Mund, sondern Nase. Das musste dann auch alles offiziell beglaubigt und übersetzt werden und wurde am Flughafen direkt kontrolliert. Dazu haben wir eine offizielle Einladung von der Academy of Motion Picture Arts und Science bekommen, dass wir hier sein dürfen und eine Bescheinigung von unserem Arbeitgeber ProSieben.
Hier vor Ort es ist wirklich komisch, weil ich nicht einschätzen kann, was man darf und was nicht. Wir sind hier in einer „Semi-Quarantäne“. Wir dürfen das Hotel für Arbeiten rund um die Oscars verlassen, aber sonst ist uns angeraten, im Hotel zu bleiben. Und wir fliegen am Montag direkt zurück.
Wann fangen Ihre Vorbereitungen für so ein Event an? Schauen Sie sich bereits zur Bekanntgabe der Nominierungen alle Filme an?
Gätjen: Ja, genau. Zum Glück ist das Schauen von Filmen und Serien meine Leidenschaft und Teil meines Berufslebens. In der Sekunde, in der die Nominierungen rausgekommen sind, habe ich angefangen, mir alle Filme zusammenzusammeln – was ein bisschen schwierig war, weil viele Filme noch nicht in Deutschland erschienen sind. Ich versuche daher, hier vor Ort noch ein paar Filme zu sehen.
Und dann gibt es noch die redaktionelle Vorbereitung. Da bekommen wir zum Beispiel Listen von der Academy, in denen steht, welche Laudatoren kommen, wer die Nominierten sind, wer von diesen kommt und welche Überraschungsgäste es gibt. Aber der Informationsfluss ist in diesem Jahr eher spärlich. Am Samstag bekommt man dann die Position am Teppich und sieht die technischen Voraussetzungen.
Gehen Sie dieses Jahr mit einem anderen Gefühl zur Verleihung?
Gätjen: Ja, das ist durchaus anders. Jede Oscarverleihung hat einen anderen Twist. Ich finde, in diesem Jahr ist auch eine ganz andere Art an Filmen nominiert. Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder einmal einen, der herausstach. Ob das jetzt „Once Upon a Time in … Hollywood“ [2019, Red.] war oder die Frage, ob Leonardo DiCaprio [46, “ The Revenant – Der Rückkehrer“, 2015] seinen Goldjungen endlich bekommen würde. Das ist in diesem Jahr anders.
Aber ich glaube, dass es trotzdem spannend wird, wie sich die Academy entschieden hat. Es kann alles passieren. Das sage ich auch meinen Kollegen: Es kann gigantisch werden, weil auf einmal jeder vor der Kamera stehen kann. Es kann aber auch in die Grütze gehen, weil keiner kommt. Es sind beispielsweise viele britische Schauspieler/innen nominiert. Ich glaube nicht, dass die kommen. Oder Anthony Hopkins – er ist 83. Warum sollte er in den Flieger steigen? Ich kann das alles überhaupt nicht einschätzen – aber das macht die Sache so interessant.
Während in Deutschland Preisverleihungen an Bedeutung abzunehmen scheinen, bleiben die Oscars – trotz häufiger Kritik – stets relevant. Woran liegt das?
Gätjen: Ich bin nach wie vor ein großer Fan von Preisverleihungen. Ich finde sie ganz wichtig. Man sollte dem Publikum da draußen zeigen: Hier sind wir und wir sind stolz auf das, was wir machen. Die Oscars sind sicherlich immer noch so relevant, da sie die größte Star-Dichte haben und weil ein Oscar für jeden Gewinner und jede Gewinnerin einen unfassbaren Mehrwert hat. Die Gagen verzehnfachen sich, es landen ganz andere Anfragen und Drehbücher auf dem Tisch.
Ich glaube, das Problem deutscher Preisverleihungen ist oft, dass man auch immer das Publikum im Blick haben muss. Das heißt: Nicht nur die kleinen, feinen Filme und Serien feiern, sondern auch die, die Massen anziehen und begeistern. Das ist die Crux, an der wir in Deutschland mehr arbeiten müssen.
Vermissen Sie einen Film oder einen Namen unter den diesjährigen Nominierten?
Gätjen: Es gibt eine Person und einen Film, die ich leider sehr vermisse. Einerseits ist das Rosamund Pike [42, „State of the Union“]. Sie hat in dem Film „I Care a Lot“ [2020] auf Netflix mitgespielt. Ich finde, sie spielte die Figur mit einer unfassbaren Boshaftigkeit – einfach fantastisch. Sie war schon in „Gone Girl“ [2014] mit Ben Affleck [48, „Argo“] gigantisch. Sie hätte es für mich absolut verdient, auf der Nominierungsliste zu sein.
Und ich bin enttäuscht, dass man „Tenet“ [2020] nicht noch größer gemacht hat, als der Film eh schon ist. Es war einer der Filme, der sich auch getraut hat, ins Kino zu kommen in Zeiten, in denen kein Kino richtig offen war. Der Film ist zudem wirklich beeindruckend. Damit hat sich Christopher Nolan [50, „The Dark Knight“] ein weiteres Denkmal gesetzt.
Gab es andererseits Nominierte, über deren Nennung Sie verwundert waren?
Gätjen: Ich habe Chadwick Boseman schon immer für einen großartigen Schauspieler gehalten. Ich frage mich aber, ob die Nominierung für „Ma Rainey’s Black Bottom“ [2020] richtig ist. Ich habe das Gefühl, dass da mehr mitschwingt in der Nominierung. Und das macht es allen anderen in der Kategorie sehr schwer zu gewinnen – egal ob die Leistungen besser waren.
Und ich frage mich, ob ein Film wie „Mank“ [2020], der durchaus spannend ist, wirklich so viele Nominierungen verdient hat. Meiner Meinung nach war er ein Special Interest Projekt. Mir fehlen populäre Entscheidungen, damit das Publikum gefeiert wird, das sich das Ganze angesehen hat. Aber am Ende ist das das Schöne an den Oscars: Dass jeder seine persönliche Meinung hat und sich daran reiben kann.
Ihr persönlicher Oscar-Favorit 2021 – was muss man gesehen haben?
Gätjen: Manche Filme haben mich wirklich umgehauen. „The Trial of Chicago 7“ [2020] muss man gesehen haben, da es darin um ein geschichtliches Ereignis geht, was sich heutzutage in den USA widerspiegelt. Von Regisseur Aaron Sorkin [59] super umgesetzt und auch darstellerisch toll. Auch „Nomadland“ [2020] war großartig.
Und zwei Filme, die mich wirklich begeistert haben, waren „Promising Young Woman“ [2020] mit Carrey Mulligan [35] und „Pieces of a Woman“ [2020] mit Vanessa Kirby [33]. Die waren schauspielerisch toll und die Geschichten waren so herzzerreißend, jede auf ihre eigene Art und Weise. Diese vier Filme und „Sound of Metal“ [2019] über einen Schlagzeuger, der sein Gehör verliert und trotzdem weitermacht – die würde ich jedem empfehlen.