Ob die Kursentwicklung von Kryptowährungen oder die Unternehmensbewertungen von so manchem Tech-Startup – die Dynamik und die Spielregeln der technologischen und politisch-wirtschaftlichen Welt von heute unterscheiden sich stark von denen, die ich vor fast 20 Jahren im Volkswirtschaftsseminar an der Uni gelernt habe. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, die über Dekaden halbwegs sicher zu prognostizieren waren, scheinen heutzutage aus den Angeln gehoben. Marktentwicklungen sind kaum mehr voraussagbar und Stakeholder-Gruppen in Unternehmen wie Wettbewerber, Kunden, Lieferanten vermischen sich bis zur Unkenntlichkeit.
VUCA-Voodoo: Angst vor Kontrollverlust
Bereits in den 1990ern wurde für dieses Phänomen ein Begriff gefunden: VUCA. Das Akronym, dass für „Volatility“, „Uncertainty“, „Complexity“ und „Ambiguity“ steht, beschreibt eine Situation, in der Rahmenbedingungen unbeständig, unsicher, komplex und mehrdeutig sind. Unbeständigkeit und Unsicherheit bedeuten Unvorhersagbarkeit. Man weiß nie, welche Überraschungen morgen auf einen warten und kann sich somit heute nicht darauf vorbereiten. Hohe Komplexität macht zudem das Verstehen der Dinge schwer. Die Mehrdeutigkeit von Fakten verunsichert zusätzlich.
Diese Situation ruft bei vielen verständlicherweise Angst hervor – Angst vor dem Verlust an Kontrolle über das eigene Unternehmen, die eigenen Daten oder die eigene Karriere. So ist es auch kein Wunder, dass in vielen Bevölkerungsgruppen die digitale Angst zu einer digitalen Abschottung geführt hat – eine natürlich sehr kurzgesprungener Versuch, unserer digitalen Zukunft zu entgehen.
Durch Fokus auf das Jetzt die eigene Zukunft gestalten
In der Unternehmenswelt haben sich mittlerweile Maßnahmen und Führungsleitlinien etabliert, um mit der „VUCA-Welt“ umzugehen. Agile Arbeitsmethoden, bei denen immer wieder kurzfristig auf veränderte Marktgegebenheiten reagiert wird, oder die Förderung von eigenverantwortlicher und teamübergreifender Zusammenarbeit sind nur zwei Maßnahmen aus dem sogenannten „New Work“-Kontext, die Innovationen fördern. Doch was mache ich als Individuum, wenn mich die Schnelligkeit der Veränderung und die Komplexität der Entwicklungen überfordert.
Meine persönliche Antwort: Nicht mit den alten Mitteln und Maßnahmen weiterkämpfen. Die Zukunft durch ausgefuchste Pläne, Prognosen und To-Do-Listen beherrschbar machen zu wollen, funktioniert nicht mehr. Multitasking beispielsweise habe ich für mich radikal durch Single Tasking ersetzt. Ein Thema konzentriert nach dem nächsten zu bearbeiten, schafft nicht nur mehr Arbeitsqualität, sondern reduziert auch Stress.
—————–
Mehr von Miriam Mertens:
- Warum es falsch ist, Frauen in Führung einzureden, nicht „nett“ zu sein
- Sexismus in der Filterblase und wie wir sie zum Platzen bringen
- Datenseen – Die Machtzentralen der Zukunft und warum dort nicht nur männliche Entwickler mitschwimmen dürfen
—————–
Ein weiteres Mittel: bekannte Konzepte und Erfahrung, also „das hat schon immer so funktioniert“, ersetzen durch den sogenannten „Beginners Mind“, also den Anfängergeist, der sich in jedem Moment, vor jeder Herausforderung neu und nicht-bewertend die Frage stellt, was jetzt zu tun ist. So zu leben hat nichts mit Abschottung und Rückwärtsgewandtheit zu tun, sondern ermöglicht erst, unsere digitale Zukunft aktiv zu gestalten.
Im Angesicht der Zukunft nicht den Blick auf die Gegenwart verlieren
Denn – was ist eigentlich nicht mehr beherrschbar? Die Zukunft ist ein abstraktes, nicht-reales Konstrukt, was keine Beherrschbarmachung erfordert. Die Gegenwart jedoch ist der einzige Handlungsraum, den wir als Menschen haben, und der ist auch heute noch – jetzt, in diesem Moment – durch mich kontrollierbar. Also nicht zu viel Energie den Zukunftsprognosen, Gedankenspielen und Szenarien zuführen, sondern die Situation sehen, wie sie wirklich zum jetzigen Zeitpunkt ist. Damit bleibt auch viel mehr Zeit und Energie, sich dem zuzuwenden, was wirklich heute ansteht.
Der schöne Nebeneffekt: Aus einer Situation der Bedrohung und Unsicherheit kommt man in die Sicherheit und das Vertrauen, dass auch morgen wieder das getan wird, was wichtig ist. Nur aus der Position der Sicherheit heraus, sind Wandel, Veränderung und Innovation möglich.
Über Miriam Mertens
Miriam Mertens‘ Leidenschaft gilt der Tech-Branche, Startups und dem Weltfrieden – und das am besten alles drei in Kombination. Sie ist anerkannte Kennerin und Gestalterin der deutschen Start-up-Szene und arbeitet aktuell an ihrem eigenen Start-up im Bereich Mindfulness & Leadership mit dem Ziel, Menschen zu helfen, die Komplexität der Digitalisierung besser zu managen und zu gestalten.