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Der ferngesteuerte Mensch: Fiktion oder Gefahr?

Wie ein Gehirn funktioniert, ist eine offene Frage. Der österreichische Neurophysiologe Gero Miesenböck, der derzeit in Oxford forscht, würde das gerne ändern. Ein Gespräch.

Die Optogenetik beschäftigt sich damit

Er war maßgeblich an der Entwicklung der Optogenetik beteiligt, die es unter anderem erlaubt, Nervenzellen im Gehirn mit Lichtsignalen zu steuern. Das gewährt Forschern neue Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns.

Miesenböcks Forschungsgruppe hat es so in Versuchen mit Fliegen und Mäusen bereits geschafft, verschiedene Verhaltensmuster in den Tieren per Knopfdruck zu aktivieren. Warum er nicht glaubt, dass auch Menschen bald ferngesteuert werden könnten, welche Anwendungen er für die Optogenetik sieht und was wir über das Gehirn noch lernen müssen, erklärt Miesenböck im Gespräch mit der futurezone.

futurezone: Sie haben in Alpbach einen Vortrag darüber gehalten, was die Optogenetik heute kann, etwa das gezielte Ein- und Ausschalten bestimmter Verhaltensmuster wie Balzritualen in Fliegen. Was kommt da noch?
Gero Miesenböck: Die Motivation für die Entwicklung der Optogenetik war für mich, eine Methode zu finden, um das Gehirn besser zu verstehen. Da die Technologie nun reif genug für die Anwendungen ist, die ich im Kopf hatte, arbeite ich nicht mehr an der technischen Weiterentwicklung.

Wo könnte die Optogenetik außerhalb der Gehirnforschung eingesetzt werden?
Die Optogenetik kann in allen elektrisch aktiven Zellen verwendet werden, von Muskeln bis zum Endokrinsystem. Selbst biochemische Reaktionen und die Genexpression können durch verwandte Technologien reguliert werden. Allerdings sind die Fortschritte hier bislang nicht so groß wie in der Neurobiologie.

Wie sehen Sie den möglichen Einsatz der Technologie im menschlichen Gehirn?
Hier sind einige Fragen zu bedenken. Zunächst die ethische Komponente: Darf man die Funktion eines Gehirns gezielt beeinflussen? Und macht es wirklich qualitativ einen Unterschied, ob die Beeinflussung optogenetisch erfolgt oder chemisch—etwa durch Psychopharmaka oder im Selbstversuch mit einem Viertel Wein?

Wenn die Fliegenexperimente der Maßstab sind, könnten Menschen zu ferngesteuerten Zombies gemacht werden. Das geht mit Wein und Psychopharmaka schwer.
Auf dem Volksfest in meiner Heimatstadt Wels habe ich schon gelegentlich alkoholgesteuerte Zombies gesehen. Doch ernsthaft: Die Optogenetik ist viel präziser als chemische Eingriffe, und das kann Vor- und Nachteile haben. Einerseits könnten Verhalten und Denken zielgerichtet beeinflusst werden—vorausgesetzt, wir wüssten, wo genau wir ansetzen müssen. Doch da uns dieses Wissen fehlt, sehe ich das Schreckgespenst eines ferngesteuerten Zombies in näherer Zukunft nicht. Aber andererseits könnte die normale Funktion in solchen Situationen präzise wiederhergestellt werden, wo wir die biologischen Grundlagen einer Erkrankung verstehen, etwa bei Parkinson oder fehlender Blasenkontrolle bei Querschnittslähmung. Hier sehe ich am ehesten Anwendungen.

Es wird also Forschung an menschlichen Gehirn geben?
Ich glaube, es wird Forschung am Menschen geben, wenn zwei große Hürden überwunden werden können. Die liegen im intellektuellen Verständnis des Gehirns und in – zur Zeit – fehlenden genetischen Methoden mit ausreichender Präzision.

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Worauf konzentriert sich Ihre Arbeit jetzt?
Ein Schwerpunkt ist die Erforschung der überlebenswichtigen Rolle des Schlafs, die immer noch ein Rätsel ist. Wir wollen herausfinden, warum Organismen schlafen und wie Schlaf/Wachrhythmen im Gehirn gesteuert werden. Unser zweites Interesse gilt der Frage, warum Entscheidungen Zeit benötigen. In beiden Feldern geht es also um zeitabhängige Informationsverarbeitung.

Die Theorie, dass Schlaf der Beseitigung von Abfallstoffen im Hirn dient, ist umstritten?
Eine Hypothese lautet, dass im Schlaf Toxine im Gehirn beseitigt werden, die in der Wachphase entstehen. Eine andere besagt, dass es um metabolisch notwendige Erholung geht, das Hirn also – ähnlich wie ein Muskel – nach Anstrengung Ruhe braucht. Eine dritte Theorie geht davon aus, dass Schlaf eine Rolle bei der Konsolidierung von Erinnerungen spielt.

Das sind recht unterschiedliche Ansätze. Stimmen am Ende alle drei?
Mein Instinkt sagt mir, dass Schlaf aus metabolischen Gründen entstanden ist und im Laufe der Evolution zusätzliche Funktionen übernommen hat. Aus evolutionärer Sicht ist Schlaf nachteilig, weil Organismen, die sich für längere Phasen von der Umwelt abkoppeln, unproduktiv und schutzlos sind. Wenn das keinen guten Grund hätte, wäre Schlaf einer der größten Fehler der Evolution.

In der Optogenetik geht es um die Steuerung von Zellen mit Licht. Wie haben Sie die Rezeptoren in die Neuronen gebracht?
Wir verändern das Genom so, dass in bestimmten Neuronen ein Rezeptor für Licht produziert wird. Bei Fliegen können wir das über die Keimbahn erreichen, das heißt, wir erschaffen Organismen, in deren Bauplan bereits festgelegt ist, welche bestimmte Neuronen Lichtrezeptoren ausbilden. Wir können die Rezeptorenausbildung durch die Aktivierung entsprechender Promotoren genau steuern.

Ihre Versuche mit Mäusen waren da schon aufwändiger?
Bei Mäusen können wir ebenfalls schon den Weg über die Keimbahn gehen. Das dauert hier aber mindestens ein Jahr und ist mit hohen Kosten verbunden. Es ist also einfacher, die DNA bestimmter Neuronen mithilfe von Viren, die in die entsprechenden Hirnregionen injiziert werden und nur bestimmte Nervenzelltypen infizieren, zu verändern.

Wie gelangen die Lichtsignale an die Neuronen?
Unsere Fliegen sind klein und transparent genug, dass genügend Licht tief ins Gehirn eindringen kann. Bei größeren Tieren mit Schädelknochen muss eine Bohrung gemacht werden, durch die ein Glasfaserkabel in den Schädel gelegt werden kann.

Sie können durch Optogenetik selbst weibliche Tiere dazu bringen, einen männlichen Paarungstanz auszuführen. Wo sind die Grenzen?
Wir können nicht jedes Verhalten auf Knopfdruck auslösen, dafür fehlt uns ein solides html5-dom-document-internal-entity1-nbsp-endVerständnis des Gehirns. Wir kennen die grundlegenden Prinzipien nicht, auf denen unsere Interventionen aufbauen könnten. Wie es so schön heißt: Es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie.

Wenn die Grundprinzipien neuronaler Verschaltung bekannt wären, könnte ein mathematisches Modell der Funktion geschaffen werden. Ist das in Reichweite?
Die Frage ist, ob es eine begrenzte Anzahl verschiedener neuronaler Schaltkreise gibt, die in mathematische Operatoren übersetzt werden können. Es wäre traurig, wenn wir herausfänden, dass dem nicht so ist und beispielsweise ein Fliegen- und ein Mäusehirn nichts gemeinsam hätten. Es gibt aber bereits Hinweise auf Ähnlichkeiten in der Verschaltung. Ich denke, es wird sich herausstellen, dass es ein paar Dutzend elementare Schaltkreise gibt, aus denen jedes Gehirn—auch das menschliche—aufgebaut ist. Der grundlegende Unterschied zwischen uns und anderen Lebewesen ist nicht, dass wir andere Schaltkreise besitzen, sondern eine viel größere Anzahl derselben Bausteine.

Was tragen Ihre aktuellen Experimente hier bei?
In meinen derzeitigen Forschungsgebieten Schlaf und Entscheidungsfindung hat sich gezeigt, dass die zugrundeliegende mathematische Operation die Integration eines Signals über die Zeit ist. Wird ein Schwellenwert eines sich im Wachzustand anhäufenden aber noch unbekannten Signals erreicht, stellt das Gehirn auf Schlaf um. Bei der Entscheidungsfindung läuft das ähnlich. Information über ein Problem wird gesammelt, bis ein Schwellenwert erreicht wird, dann wird die Entscheidung getroffen. Im Experiment entscheiden sich Fliegen zwischen zwei Düften, auf die sie mit Reizen konditioniert wurden. Je ähnlicher die Düfte, desto länger dauert die Entscheidung.

Ist das ein mechanischer Prozess oder hat die Fliege Einfluss?
Nun wird’s philosophisch: der “freie” Wille“. Es könnte sein, dass auch unser gefühltes Ich nur eine Illusion ist, geschaffen im Zuge der Evolution, um uns vom Beifahrergefühl zu befreien. Solche Dinge werden üblicherweise auf Fachkonferenzen am späten Abend diskutiert…

Gibt es Ideen, wie Bewusstsein oder das Denken funktionieren?
Es gibt Ansätze. Der leider viel zu früh verstorbene Brite David Marr war in den 60er und 70er Jahren sehr einflussreich. Heute sind Theoretiker leider oft darauf fixiert, große Datenmengen zu interpretieren, statt neue Ideen zu entwickeln. Von einer umfassenden Theorie zur Funktionsweise des Gehirns sind wir weit entfernt. Wir verstehen die Funktion einzelner Zellen sehr genau und auch die grobe Anatomie des Gehirns. Wo der Fortschritt kommen wird, ist auf der Ebene – oder den Ebenen – dazwischen. Irgendwo dort führen Wechselwirkungen der unintelligenten Materie zu intelligentem Verhalten.

Ist das eine Aufgabe für Biologen und Neurologen oder für Mathematiker und Physiker?
Ich glaube, die Physik und Mathematik haben viel beizutragen, das war in der Neurowissenschaft auch in der Vergangenheit schon so.

Wie wichtig ist das Wissen aus der Neurowissenschaft als Modell für die Entwicklung künstlicher Intelligenz?
Es gibt in der künstlichen Intelligenz nur minimale direkte Anleihen bei der Biologie. Die KI-Forschung ist für sich allein sehr interessant, wird aber nicht zu einem besseren Verständnis des Gehirns führen.

Auch nicht auf der funktionalen mathematischen Ebene?
David Marr hat gesagt, dass es drei Ebenen gibt, die verstanden werden müssen, um ein gültiges Modell der Funktion eines Gehirns entwickeln zu können: Die nötigen Rechenverfahren, die verwendeten Algorithmen und die biologische Implementation.

Dieses Interview erschien zuerst auf Futurezone.at

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