Verhaltensgenetiker Robert Plomin des King’s College London zeichnet das Bild einer nicht zwingend erstrebenswerten Zukunft. Seiner Expertise zufolge soll es bald möglich sein, anhand eines einfachen DNA-Tests zu definieren, ob beispielsweise ein Säugling für eine ausgewählte Vorschule geeignet sein wird oder jemand intelligent genug ist, seinen Doktor zu machen.
DNA-basierte Intelligenzprognosen führen zu „Präzisionsbildung“
Genauer, so Plomin, sollen neue Entdeckungen dazu führen, die DNA eines Kindes zu lesen und eine Vorstellung von dessen künftiger Intelligenz zu bekommen. Bereits im Januar hatte der Forscher das DNA-IQ-Testszenario in seinem Bericht „The new genetics of intelligence“ (zum Dokument) im Detail vorgestellt. Darin ist die Rede von vererbten Genomsequenzunterschieden, die für zwanzig Prozent der 50-prozentigen Erblichkeit von Intelligenz verantwortlich sind. Seine gesellschaftliche Prognose: Eltern werden DNA-Tests in Anspruch nehmen, um die mentalen Fähigkeiten ihrer Kinder vorherzusagen und darauf basierend Entscheidungen für deren spätere Ausbildung zu treffen. Plomin nennt das „Präzisionsbildung“.
Hintergrund der Forschungserkenntnisse ist die alte Frage nach den Erbfaktoren, die für menschlichen Intelligenz verantwortlich sind. Bisher hatten Genforscher wenig Glück bei ihrer Ergründung, nun soll sich das Blatt gewendet haben. Die umfangreiche Größe heutiger Genstudien erlaubt es den Wissenschaftlern zumindest, sich auf die genetischen Unterschiede zu konzentrieren, die in Verbindung zum IQ stehen.
Neue Forschungsentwicklungen innerhalb nur eines Jahres
Dabei ging die Entwicklung rasant voran. Noch vor einem Jahr wurde kein einziges Gen mit der Leistung bei einem IQ-Test in Verbindung gebracht. Erst im Mai 2017 zahlte sich die Jagd danach aus. Heute, auf Grundlage der Ergebnisse von bisher über 200.000 Test-Teilnehmern, sind es bereits mehr als 500 Gene, denen eine solche Korrelation zugeordnet wird. Fällig sind auch die Ergebnisse eines Experimentes, das die DNA von einer Million Menschen mit ihrem akademischen Erfolg korreliert.
„Genetische Punktzahlen“ ermöglichen persönlichen DNA-IQ-Test
Jede genetische Variable, die gefunden wurde, hat dabei einen winzigen Effekt und erhöht entweder den IQ im Durchschnitt oder schwächt ihn leicht. Um daraus einen persönlichen DNA-IQ-Test zu machen, müssen lediglich alle Plus- und Minus-Faktoren hinzugefügt werden, die im Genom einer spezifischen Person feststellbar sind. Das Bewertungsprinzip mittels solcher sogenannter „polygenen Punktzahlen“ existiert bereits und wird unter anderem angewendet, um das Risiko einer Person für Herzkrankheiten, Diabetes und Schizophrenie zu ermitteln.
Kritiker befürchten gesellschaftliche Nebenwirkungen
Plomins Kritiker glauben dagegen nicht an genetische Intelligenztests. „Wir werden nie in der Lage sein, jemandes DNA zu betrachten und zu sagen, dass er einen IQ von 120 haben wird“, sagt die statistische Genetikerin Danielle Posthuma, die die große 2017-IQ-Studie geleitet hat. Ihr Hauptaugenmerk liege darin, zu entdecken, wie das menschliche Gehirn auf einem Grundlevel funktioniert. Dort könne das Auffinden von Genen, die in Verbindung mit Intelligenz stehen, helfen.
Für Aaron Panofsky, Soziologe an der Universität von Kaliforien in Los Angeles, ergibt sich aus der Aussicht auf DNA-IQ-Tests ein viel gravierenderes Problem: „Diese Technologie könnte am Ende einen Einstein als einen Idioten abstempeln und umgekehrt“.
Auch andere Pädagogen sind bereits in Alarmbreitschaft, wenn es um DNA-basierte Erziehungsentscheidungen und die Bewertung der akademischen Aussichten von Kindern geht. „Jeder wird wissen wer du bist, worum es sich bei dir dreht. Für mich klingt das ziemlich beängstigend“, so Soziologin Catherine Bliss der Universität von Kalifornien in San Francisco. „Eine Welt, in der Menschen nach ihren angeborenen Fähigkeiten ausgesiebt werden, das ist Gattaca. Das ist Rassenhygiene“, so Bliss weiter.
Online-Dienste bieten DNA-IQ-Tests bereits an
Bis jetzt sind die Vorhersagen noch nicht sehr akkurat. Die Variationen in der DNA, die mit Testergebnissen verknüpft wurden, konnten vorerst weniger als zehn Prozent der Intelligenzunterschiede zwischen den untersuchten Personen europäischer Abstammung erklären. Das hält Onlinedienstleister aber nicht davon ab, schon heute anzubieten, den IQ einer Person anhand einer Speichelprobe zu quantifizieren, wie MIT Technology Review herausfand. Plattformen wie GenePlaza und DNA Land offerieren zum Beispiel Berechnungen per App, die dem Nutzer anhand einer Glockenkurve aufzeigen, an welchem Ende er sich im Bereich Intelligenz befindet. Die Macher dahinter betonen allerdings, dass Apps dieser Art nur als Spaß gedacht und nicht ernst zu nehmen sind.
Große Unternehmen halten sich angesichts befürchteter Verurteilung als Nazis und Rassisten noch bedeckt. Es gäbe offensichtliche Bedenken darüber, wie DNA-Tests für Intelligenz genutzt und wie darüber gesprochen würde. Auch die Angst vor Missinterpretationen entsprechender Auswertungen durch Konsumenten beziehungsweise deren Reaktionen bei unterdurchschnittlichem Abschneiden spielten eine Rolle. Es bleibt abzuwarten, ob und wann DNA-IQ-Tests ihren Weg in die Gesellschaft finden.