Wir erinnern uns, dass das Bergdorf Ischgl mit 1.600 Einwohnern zu einem regelrechten Covid-19-Hotspot im März wurde. Urlauber und Einwohner wurden gleichermaßen mit dem neuartigen Erreger angesteckt. Im April wurden nahezu alle Bewohner auf Antikörper getestet, da diese eine Art Coronavirus-Schutz bieten. Bis dahin wurden nur rund 15 Prozent mit einer Infektion diagnostiziert. Doch bei über 40 Prozent der Getesteten konnten Eiweiße im Blut gefunden werden, die auf eine frühere Erkrankung hinwiesen. Lässt sich so also bald eine Herdenimmunität erzeugen?
Coronavirus-Schutz durch Infektion: So steht es um die Herdenimmunität
Bislang gilt Ischgl als eines der Beispiele mit einer großen Durchseuchung eines Ortes. Könnte dies weitflächiger erfolgen, könnte doch bald eine Herdenimmunität hergestellt werden. Oder nicht? Dafür müssten nur 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung sich mit dem Virus infizieren, um einen dauerhaften Coronavirus-Schutz zu erzeugen. Auf diese Weise wären ausreichend Menschen immun gegen den Erreger, um die Ausbreitung zu stoppen.
Ein Gedankenspiel soll dabei helfen
Diese Angabe trat immer wieder in Fachdiskussionen auf. Die große Frage, die blieb, war Folgende: Wie lange wird es brauchen, um die Herdenimmunität herzustellen? Selbst in Ischgl, wo Extrembedingungen herrschten, konnten nur 40 Prozent der Einwohner infiziert werden. Die ersten Zweifel traten nun auch schon auf, dass 60 bis 70 Prozent vielleicht nicht der genaue Richtwert ist. Ein Gedankenspiel macht deutlich, welche Überlegung dahinter steckt:
- Die Annahme: Jeder Infizierte steckt im Schnitt drei Menschen ohne Immunität an.
- Diese werden immun und haben somit einen Coronavirus-Schutz.
- Sind 66 Prozent (zwei Dritte) der Bevölkerung bereits erkrankt, wären von den drei Personen, die wir anstecken würden, schon zwei immun.
- Die Ausbreitung würde stagnieren und irgendwann sogar abflauen.
Das Problem bei dieser Überlegung: Wir gehen davon aus, dass sich der Erreger gleichmäßig verteilt. Doch in der Realität sieht das anders aus: Einige entwickeln sich zu Superspreadern, bei anderen ist kaum etwas von einer Erkrankung zu merken.
Der Herdenimmunität langsam näher kommen
Diese Faktoren versuchen Mathematiker bei der Berechnung der Herdenimmunität mit einzubeziehen. Daraus ergeben sich komplexe mathematische Modelle, die dennoch ungenau sind. Die Berechnungen zeigen, dass die Herdenimmunität schon erreicht sein könnte, wenn sich 50 Prozent der Bevölkerung infiziert haben. Vielleicht sogar noch weniger.
Eine Studie von Juni zeigt, Berechnungen, bei denen auch die Aktivitäten unterschiedlicher Altersgruppen miteinbezogen werden. Der niedrigste Wert, um eine Herdenimmunität zu erreichen, liegt bei knapp über 40 Prozent. Dafür muss aber das Aktivitätslevel auch hoch sein. Dennoch ist der berechnete Wert ungenau, da Faktoren wie Haushalte oder Personen am Arbeitsplatz außen vor gelassen wurden. Ein weiteres Forscherteam geht ebenfalls davon aus, dass die Herdenimmunität erreicht werden kann, noch bevor 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung eine Infektion erleiden.
Coronavirus-Schutz durch Immunität: Aber wie lange?
Die Überlegung dahinter geht davon aus, dass der Virus sich zunächst rasant über sogenannte Superspreader ausbreitet. Doch irgendwann findet er keine solchen Wirte mehr. Die Ausbreitung verlangsamt sich. Die beiden Studien gehen von einem hierarchischen Kontaktverhalten aus. Je weniger Kontakt, desto schwieriger für den Virus. Doch noch gibt es immer noch Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen. Das könnte den Schwellenwert für die Herdenimmunität wieder anheben.
Doch wir können noch so lange über Herdenimmunität reden, es kann uns vielleicht doch nichts helfen. Bislang ist noch unklar, ob Genesene auch wirklich immun gegen Covid-19 sind. Wir wissen nicht wie lange der Coronavirus-Schutz anhält. Herdenimmunität könnten wir noch auf diese Weise ereichen. Eine Lösung, um die Coronavirus-Ausbreitung zu stoppen, geht auf die Kosten aller Menschen.