Durch Kentauren, die Sphinx, den Minotaurus und viele weitere Gestalten waren Mischwesen bereits in der antiken Mythologie vertreten. Selbst die Chimäre selbst, eine Schwester der Sphinx, fand in griechischen Sagen Erwähnung. Ihr Name spielt auch in der heutigen Genetik eine nicht unwesentliche Rolle. Handelte es sich bei ihr in Homers Erzählungen um ein Geschöpf, das vorne wie ein Löwe, in der Mitte wie eine Ziege und hinten wie eine Schlange oder ein Drache gebildet ist, steht sie heute stellvertretend für alle nur denkbaren Arten von Mischwesen. Eine Chimäre aus Mensch und Affe könnte nun Realität werden lassen, was einst Mythen zierte.
Die Chimäre im genetischen Sinne
Bei einer Chimäre handelt es sich in der Genetik um einen Organismus, der zwar aus genetisch unterschiedlichen Zellen aufgebaut ist, jedoch ein einheitliches Individuum darstellt. Die Verschiedenheit der Zellen entspringt dabei der Tatsache, dass sie aus zwei befruchteten Eizellen hervorgehen. Ob diese von Individuen derselben oder einer anderen Art stammen, ist definitorisch nicht von Relevanz.
Chimäre aus Mensch und Affe: Forschern gelingt die Kreuzung
Kommt dir direkt ein Bild des Affenkönigs Sūn Wùkōng einer Figur aus dem chinesischen Roman „Die Reise nach Westen“ (16. Jh.) in Gedanken, müssen wir dich leider enttäuschen. Bislang handelt es sich bei der Schöpfung lediglich um eine Affe-Mensch-Chimäre im Embryonalstadium. Seinen Ursprung findet aber auch dieses Wesen, zumindest anteilig, in China. Konkret wurde es von einem Team unter der Leitung des Primaten-Reproduktionsbiologen Weizhi Ji der chinesischen Kunming University of Science and Technology erschaffen.
Einige werden von der Gefahr einer „Überschreitung“ oder „Verwischung der Grenzen“ zwischen der menschlichen Spezies und anderen Tierarten sprechen. Andere werden auf die Perspektiven für den wissenschaftlichen und biomedizinischen Fortschritt hinweisen, die sich durch diese Arbeit eröffnen. Zwei Teams, eines französisch, das andere chinesisch-amerikanisch, brachten menschliche Zellen in Affenembryonen ein.
Die erste der beiden Studien wurde bereits am 12. Januar 2021 im Fachjournal Stem Cell Reports veröffentlicht, die zweite am 15. April im Magazin Cell. Die Fragen bleiben jedoch wie schon im Rahmen vergangener (Gedanken-)Experimente zu Chimären aus dem Menschen und anderen Arten dieselben:
- Was sind die erwarteten Vorteile?
- Was sind die Risiken?
- Was sind die ethischen Fragen?
Aussicht und Bedenken
Nun steht die die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Sie muss über eine Überarbeitung der Richtlinien für die Arbeit mit genetischen Mischwesen urteilen. Dabei spielen im Wesentlichen zwei Faktoren eine Rolle. Einerseits, wie ethisch ist es, Hybride mit Tierarten zu schaffen, die so eng mit dem Menschen verwandt sind wie der Rest der Primatenwelt. Andererseits wäre die Organentnahme aus solchen Chimären möglicherweise vielversprechender als etwa einer Chimäre aus Mensch und Schwein.
„Neue Forschung stößt oft an die Grenzen des bestehenden Denkens über Ethik; diese Forschung ist keine Ausnahme“, erklären die Ethiker Henry T. Greely und Nita A. Farahan in einem Kommentar, der zusammen mit der im April veröffentlichten Studie publik gemacht wurde. „Während menschliche/nicht-menschliche Chimären mit lebenden oder fötalen Tieren seit fast 20 Jahren diskutiert werden, hat sich wenig bis gar keine ethische Diskussion darauf konzentriert, menschliche Zellen in nicht-menschliche Blastozysten zu setzen (geschweige denn in Blastozysten von nicht-menschlichen Primaten).“
„Diese Forschung ist nicht dazu gedacht, alles und jedes zu machen. Wir sind uns der damit verbundenen biomedizinischen und ethischen Fragen sehr bewusst“, zitiert die Schweizer Zeitung Le Temps außerdem Pierre Savatier von Inserm in Lyon, der die französische Studie koordiniert hat. Vor allem in Bereichen der Genetik kommt es immer wieder zu ethischen Fragen – so auch, wenn es etwa darum geht, mittels bestimmter Gene das Altern aufzuhalten. Auch im Labor gezüchtete Gehirne wecken vergleichbare Bedenken.