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Schlüssel zu völlig neuer Physik entdeckt: Forscher entschlüsseln „Brummen“ im Universum

Forschende haben den Gravitationswellenhintergrund entdeckt. Wir verraten dir, was genau das für die Wissenschaft bedeutet.

Illustration des Gravitationswellenhintergrundes
© sakkmesterke - stock.adobe.com

Was sind Gravitationswellen?

Albert Einstein stellte mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie unser Verständnis von Physik auf den Kopf. Demnach krümmen schwere Objekte im Universum die Raumzeit.

Lange Zeit galt der Gravitationswellenhintergrund als bloßes theoretisches Gebilde, das auf ein „Brummen“ von Gravitationswellen hinwies, die das gesamte Universum durchdringen. Solche Wellen resultieren aus einer Reihe unterschiedlicher Quellen wie der Verschmelzung von Schwarzen Löchern, Neutronensternen, Supernovae und möglicherweise auch Ereignissen, die in der Frühphase des Universums stattfanden, einschließlich der Inflation kurz nach dem Urknall. In ähnlicher Weise, wie das kosmische Mikrowellenhintergrundrauschen ein Nachhall der Energie des Urknalls darstellt, könnte der Gravitationswellenhintergrund als Echo massiver kosmischer Ereignisse betrachtet werden. Nun wird dieses Konzept erstmalig aus der Theorie in die Anwendung übertragen.

Gravitationswellenhintergrund entdeckt

Ein internationales Forschungskonsortium hat in einer bahnbrechenden Entdeckung dieses kosmische Brummen aufgespürt, das im gesamten Universum widerhallt. Man nimmt an, dass dieses Brummen, das vom Very Large Array in New Mexico ausgeht, ein kollektives Echo von supermassiven Schwarzen Löchern ist, die sich in uralten Galaxien befinden, von denen einige bis zu 10 Milliarden Lichtjahre entfernt sind.

Xavier Siemens, ein Physiker, der an der Zusammenarbeit mit dem North American Nanohertz Observatory for Gravitational Waves (NANOGrav) beteiligt ist, verglich dieses Phänomen in der New York Times mit einer Orchestersinfonie. Jedes Paar verschmelzender supermassereicher Schwarzer Löcher erzeuge eine einzigartige Note, die in einer ausgedehnten kosmischen Melodie gipfele. Diese Enthüllung war mit Spannung erwartet worden, denn sie kam 15 Jahre nach Beginn der Datenerfassung durch das NANOGrav. Sie stützt Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und deutet auf die Existenz exotischer Materie hin, die aus dem Urknall vor etwa 13,7 Milliarden Jahren entstanden sein soll.

Die bahnbrechende Entdeckung, so die Astrophysikerin Chiara Mingarelli von der Universität Yale und Mitglied von NANOGrav, markiere den Beginn eines neuen Ansatzes zur Beobachtung des Universums. Bisherige Signale, die vom Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) aufgespürt wurden, lagen vor allem im Frequenzbereich von einigen hundert Hertz. Die Forscherinnen und Forscher hinter dieser Studie suchten jedoch nach einem kollektiven Brummen mit viel niedrigeren Frequenzen – ein Milliardstel Hertz – das gleichzeitig aus allen Ecken des Universums ausgestrahlt wird.

Absolute Sicherheit steht aus

Bei diesen außergewöhnlich niedrigen Frequenzen ist das Brummen so stark, dass es auf die historische kosmische Verschmelzung von möglicherweise einer Million supermassereicher Schwarzer Löcher zurückzuführen sein könnte. Entdeckt wurde dies durch die Untersuchung des Verhaltens von Pulsaren, sich schnell drehenden Sternen, mit Hilfe einer mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Methode aus dem Jahr 1993, die zur indirekten Messung der Auswirkungen von Gravitationswellen verwendet wird. Die Pulsare, die aufgrund ihrer periodischen Aussendung von Radiowellen auch als kosmische Uhren bezeichnet werden, waren entscheidend für die Entdeckung des Signals.

Das Very Large Array, das Green Bank Telescope in West Virginia und das inzwischen stillgelegte Arecibo-Observatorium in Puerto Rico waren maßgeblich an der Sammlung von Beobachtungsdaten für das NANOGrav-Team beteiligt. Diese Beiträge ermöglichten eine weltweite Zusammenarbeit im Rahmen des International Pulsar Timing Array, die zur Enthüllung des Gravitationswellenhintergrunds führte. Gegenwärtig haben die Ergebnisse einen Zuverlässigkeitsgrad von 3,5 bis 4 Sigma, was nur knapp unter dem gewünschten 5-Sigma-Standard liegt, der von Physikerinnen und Physikern üblicherweise für eine Entdeckung verwendet wird. „Irgendwann werden wir das schon schaffen“, ist sich Mingarelli sicher. Für sie selbst reiche es aus.

Vom Mikrowellen- zum Gravitationswellenhintergrund

Eine Analyse des Gravitationswellenhintergrunds könnte Aufschluss über die Entwicklungsgeschichte supermassereicher Schwarzer Löcher und der sie umgebenden Galaxien geben. Dies könnte auch ein tieferes Verständnis der Expansion des Universums und der Natur der dunklen Materie ermöglichen und möglicherweise zur Entdeckung bisher unbekannter Teilchen oder Kräfte führen. Das NANOGrav-Team und seine internationalen Partner analysieren die Messungen von 115 Pulsaren aus mehr als zwei Jahrzehnten in der Hoffnung, den Ursprung des Gravitationswellenhintergrunds zu entschlüsseln.

Die Astrophysikerin Marcelle Soares-Santos von der University of Michigan vergleicht die potenzielle Bedeutung dieser Gravitationswellen mit der bahnbrechenden Entdeckung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds in den 1960er Jahren. Auch sie prägte unser Verständnis des frühen Universums neu. Dies könnte in der Tat der Beginn eines neuen Kapitels in unserem Verständnis von Gravitationswellen sein. In dem Maße, wie wir dem Verständnis dieses kosmischen Brummens näher kommen, werden wir vielleicht Zeuginnen und Zeugen, wie ein neues Kapitel in der Geschichte der Gravitationswellen geschrieben wird.

Zum Vergleich: Der Mikrowellenhintergrund ermöglicht es uns, in eine Zeit etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall zurückzublicken. Der Gravitationswellenhintergrund hingegen lässt uns einen Blick darauf werfen, was bereits wenige Sekunden nach dem Urknall geschah. Damit ist er nicht nur der Schlüssel zu einer bislang unbekannten Art der Physik, sondern könnte darüber hinaus ein für allemal die alles entscheidende Frage klären: Warum gibt es etwas und nicht nichts?

Große Bedeutung für künftige Forschung

Konkret bildet die Entdeckung dieses „Brummens“ im Universum die Grundlage für gleich fünf weitere astronomische Durchbrüche:

  1. Bestätigung der Inflationstheorie: Die Inflationstheorie, die besagt, dass das Universum in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall eine extrem schnelle Ausdehnungsphase durchlief, ist durch die Entdeckung des Gravitationswellenhintergrundes weiter bestätigt. Diese Wellen sind ein erwartetes Produkt dieses Inflationsprozesses und ihre Entdeckung ist ein starker Beweis für diese Theorie.
  2. Erforschung des frühen Universums: Gravitationswellen ermöglichen es der Wissenschaft, „hinter“ die kosmische Hintergrundstrahlung zu blicken und Informationen über die sehr frühen Phasen des Universums zu gewinnen, die wir bislang nicht erreichen konnten.
  3. Testen der Allgemeinen Relativitätstheorie: Gravitationswellen sind eine direkte Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie. Während wir bereits Beweise für die Existenz von Gravitationswellen haben, liefert die Entdeckung des Gravitationswellenhintergrundes weitere Datenpunkte für Tests und Verbesserungen dieser Theorie.
  4. Einblicke in die Natur der Gravitation: Wenn wir in der Lage sind, Gravitationswellen zu messen und genauer zu analysieren, könnten wir mehr über die Natur der Gravitation selbst erfahren, insbesondere auf kosmologischen Skalen.
  5. Quantengravitation: Die Entdeckung könnte auch Auswirkungen auf die Theorie der Quantengravitation haben, die darauf abzielt, die Gravitation mit den anderen drei fundamentalen Kräften zu vereinen.

Auch Dr. Soares-Santos geht davon aus, dass der Fund „zu etwas wirklich Bahnbrechendem führen“ könne.

Quellen: New York Times; „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie“ (Annalen der Physik, 1916); „Focus on NANOGrav’s 15 yr Data Set and the Gravitational Wave Background“ (The Astrophysical Journal Letters, 2023); The Nobel Prize; eigene Recherche

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