Eine überraschende Entdeckung von Forschenden am Imperial College London hat unsere Vorstellung vom Tastsinn grundlegend erweitert: Haarfollikel haben offenbar die Fähigkeit, Berührungen direkt zu spüren. Bisher nahm man an, dass diese Empfindung ausschließlich Aufgabe von Nervenenden in der Haut stamme. Die neue Entdeckung stützt sich auf die Identifizierung von berührungsempfindlichen Rezeptoren innerhalb des äußeren Wurzelschafts (Outer Root Sheath, ORS) der Haarfollikel. Diesen Hinweis auf eine Art siebten Sinn fand man mithilfe fortgeschrittener RNA-Sequenzierungstechniken.
Siebter Sinn in Haarfollikeln?
Während der Untersuchung kultivierten die Forschenden menschliche Haarfollikelzellen zusammen mit sensorischen Nerven unter Laborbedingungen. Sie beobachteten, dass bei mechanischer Stimulation dieser Zellen die angrenzenden sensorischen Nerven aktiviert wurden. Diese direkte Kommunikation sei unerwartet gewesen und habe gezeigt, dass das Gefühl der Berührung nicht ausschließlich auf der Haut oder Nervenenden basiert, erklärt Claire Higgins vom Imperial College London. Auch eine direkte Reaktion der Haarfollikel selbst sei beinhaltet.
Besonders interessant ist der Mechanismus, durch den diese Follikelzellen Berührungen mitteilen. Die Zellen setzen Neurotransmitter wie Serotonin und Histamin durch Vesikel frei und signalisieren so ein Berührungsereignis an das Nervensystem. Dieser Prozess stellt eine komplexere Interaktion zwischen den Haarfollikelzellen und dem Nervensystem dar, als bisher angenommen. Das deutet darauf hin, dass Haarfollikel eine aktive Rolle in der sensorischen Wahrnehmung spielen.
Die Studie hebt auch die spezifische Interaktion zwischen Haarfollikelzellen und Niederschwellen-Mechanorezeptoren (LTMRs) hervor. LTMRs sind spezialisierte Nervenzellen, die leichte, sanfte Berührungen wahrnehmen, was auf einen fein abgestimmten sensorischen Prozess hinweist, der Haarfollikel involviert. Diese Spezifität fordert eine tiefere Untersuchung der einzigartigen Funktionen und Mechanismen dieser Zellen in der Wahrnehmung von Berührung.
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Basis für weitere Forschungen
Die Implikationen dieser Forschung gehen über bloße wissenschaftliche Neugier hinaus. Als Forschende ähnliche Experimente mit Hautzellen statt Haarfollikelzellen durchführten, setzten diese wohl lediglich Histamin in signifikanten Mengen frei. Serotonin sei bemerkenswert abwesend gewesen. Dieser deutliche Unterschied unterstreicht etwas Einzigartiges an der Reaktion der ORS-Zellen, was entscheidend für das Verständnis sensorischer Prozesse und die Entwicklung medizinischer Behandlungen sein könnte.
Die Forschung bietet auch potenzielle Wege für medizinische Fortschritte. Das gilt insbesondere im Hinblick auf entzündliche Hautkrankheiten wie Ekzeme, bei denen Histamin eine Rolle spielt. Indem sie beleuchten, wie Haarfollikel Berührung wahrnehmen, könnten die Erkenntnisse neue Behandlungen und präventive Maßnahmen für solche Zustände informieren. Auch könnten Forschende mit ihrer Hilfe der Erforschung des siebten Sinns ein Stückchen näherkommen.
Quellen: „Mechanical stimulation of human hair follicle outer root sheath cultures activates adjacent sensory neurons“ (Science Advances, 2023); Imperial College London
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