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„Das hat uns schockiert“: Gletscher brechen folgenschweren Rekord

Die Gletscher der Anden befinden sich derzeit auf dem wohl schwächsten Stand seit knapp 130.000 Jahren. Das zeigen jüngst analysierte Gesteinsproben.

Die Berge sind mit Schnee bedeckt und der Himmel ist bewölkt El Chaltén, Provinz Santa Cruz, Argentinien
© imago images / Cavan Images

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Sei es in den Alpen, den Rocky Mountains, im Himalaya oder den Ruwenzori-Gebirge – die Gletscher der Erde schmelzen mit beunruhigender Geschwindigkeit. Beinahe täglich gelangen neue Daten und Erkenntnisse an die Öffentlichkeit, die die den Ernst der Lage unterstreichen. Auch die Eiszungen der Anden ziehen sich stetig zurück und befinden sich mittlerweile auf dem kleinsten Stand seit 130.000 Jahren.

Gletscher: Neue Erkenntnisse sind „eine Alarmglocke“

„Das hat uns, ehrlich gesagt, schockiert“, betonte Andrew Gorin von der University of California in Berkeley gegenüber NewScientist. „Ich denke, das ist ein klarer Beweis dafür, dass zumindest eine Region der Welt die gastfreundlichen klimatischen Bedingungen, die die Entwicklung der menschlichen Zivilisation begünstigt haben, verlassen hat.“ Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen hatte Gorin den jüngsten Gletscherrückgang in den tropischen Anden untersucht. Für den gegenwärtigen Zeitabschnitt der Erdgeschichte seien sei dieser beispiellos.

Insgesamt analysierten Gorin und sein Team im Rahmen ihrer Studie zwanzig Gesteinsproben, die der Rückzug des Gletschereises erst in jüngster Vergangenheit zutage gefördert hatte. Konkret untersuchten sie die Oberflächenexpositionsdatierung, also wann das Gestein zuletzt freigelegen haben muss. Während das Schrumpfen der nördlichen Gletscher im mittleren Interglazial eine regionale und keine globale Erscheinung war, hatten die Forschenden erwartet, Ähnliches zu jener Zeit auch in den Anden zu finden.

Stattdessen waren die Isotopwerte, die sie fanden, so niedrig, dass sie fast nicht nachweisbar waren. „Dies ist eine Alarmglocke“, warnte Gorin. „Es ist der Kanarienvogel in der Kohlemine für Berggletscher überall.“ Schnell schieße die Menschheit an jenen Klimameilensteinen vorbei, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch in ferner Zukunft wähnten.

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Beunruhigender Rekord

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Gletscher in den letzten 11.700 Jahren niemals so weit zurückgezogen haben wie heute. Vor dieser Zeit gab es eine globale Eiszeit und Studien belegen, dass die Tropen damals kühler waren. Gorin stimmte zu, dass dies bedeute, dass die Andengletscher beinahe sicher auf die kleinste Größe seit mindestens dem vorherigen Interglazial vor etwa 130.000 Jahren geschrumpft sind.

„Ich würde meine Ersparnisse darauf verwetten, dass Ihre Behauptung, diese Gletscher seien jetzt so klein wie seit der letzten Zwischeneiszeit nicht mehr, stimmt“, so der Forscher. „Aufgrund der Einschränkungen der Technik, die wir zur Untersuchung dieser Frage verwendet haben, können wir diese Tatsache jedoch nicht definitiv beweisen, und deshalb sagen wir das auch nicht in dem Artikel.“

Allerdings ist der Rückgang der Gletscher der Anden längst nicht das einzige Alarmsignal, das aufhorchen lässt.

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UN warnt vor „katastrophalen“ Folgen

„Der Rückzug der Gletscher ist eines der deutlichsten Anzeichen für den Klimawandel“, sagte Dr. Levan Tielidze, von der School of Earth Atmosphere and Environment der australischen Monash University, dem Science Media Centre (SMC). „Überall auf der Welt, von den Alpen bis zur Arktis, schrumpfen die Gletscher und legen immer größere Flächen in den Gebirgsregionen und um die Polkappen frei. Wenn der derzeitige Rückzug anhält, könnte die von den Gletschern kahle Fläche bis zum Ende des Jahrhunderts der gesamten Fläche Italiens entsprechen.“

Seinen Ausführungen schlossen sich auch Dr. Andre Egar und Professor Peter Almond von der britischen Lincoln University an und forderten ein besseres Verständnis für die Konsequenzen dieser Entwicklung.

Schon im März 2023 warnte davor auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres. „Wenn wir diesen Trend nicht umkehren, werden die Folgen katastrophal sein“, mahnte der heute 75-jährige in New York. „Niedrig gelegene Gemeinden und ganze Länder könnten für immer ausgelöscht werden. Wir würden Massenbewegungen ganzer Bevölkerungen erleben – und einen erbitterten Wettbewerb um Wasser und Land. Und Katastrophen würden sich weltweit häufen – einschließlich Überschwemmungen, Dürren und Erdrutschen.“ Der Verlust der Gletscher „wäre ein Riesenproblem für unsere Welt“.

Quellen: NewScientist; „Recent tropical Andean glacier retreat is unprecedented in the Holocene“ (Science, 2024); Science Media Centre; Vereinte Nationen

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