Forscher machten auf der venezianischen Insel Lazzaretto Nuovo in einem Massengrab für Opfer der Pest eine faszinierende Entdeckung: Sie fanden die Überreste einer Frau aus dem 16. Jahrhundert, in deren Mund sich ein Steinziegel befand. Dieser Brauch sollte verhindern, dass die Toten als „Vampire“ zurückkehren und die Lebenden heimsuchen. Die Entdeckung aus dem Jahr 2006 und die kürzlich erfolgte Veröffentlichung von Nachbildungen bringen längst vergessene Aberglauben zurück ins Bewusstsein der modernen Archäologie.
Archäologie und Forensik gehen Hand in Hand
Der brasilianische Forensiker Cícero Moraes nutzte 3D-Scans, um das Gesicht der Frau detailreich nachzubilden. Die Bilder zeigen sie mit spitzem Kinn, silbernem Haar und schiefer Nase – eine Verbindung von historischer Erzählung und forensischer Wissenschaft. Moraes‘ Studie macht die einst gefürchtete Figur greifbar und menschlich.
„Vampire gibt es nicht, aber Studien zeigen, dass die Menschen damals daran glaubten“, zitierte Phys.org Matteo Borrini 2009 unter Berufung auf die Associated Press. Borrini war damals forensischer Archäologe und Anthropologe an der Universität Florenz, und hatte den Fall in den vorangegangenen Jahren ausführlich untersucht. „Zum ersten Mal haben wir Beweise für einen Exorzismus gegen einen Vampir gefunden“.
Die neue Analyse ergab, dass die Frau bei ihrem Tod 61 Jahre alt war und vermutlich der Unterschicht angehörte, basierend auf ihrer Ernährung aus Getreide und Gemüse. Die Stein-im-Mund-Praxis diente als Schutzmaßnahme, eingebettet in die Vampirhysterie Europas. Diese wurde durch die Pest und den Anblick verfallender Leichen verstärkt, was zu Missverständnissen über Untote führte.
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Vergangenheit entmystifiziert
Die Studie vereint historischen Aberglauben und moderne Forensik. Sie stützt die Theorie, dass solche Begräbnisriten Schutz vor den als Vampir*innen gefürchteten Toten und der Pest boten. Diese Forschung bietet Einblick in die Maßnahmen, die aus Angst und zum Schutz in unruhigen Zeiten ergriffen wurden.
Dieser Fall zeigt, wie aus Angst und dem Bedürfnis nach Erklärungen außergewöhnliche Bräuche entstanden. Moderne Wissenschaft entmystifiziert die Vergangenheit und verleiht historischen Figuren Menschlichkeit. Die Geschichte der „Vampir“-Frau aus dem 16. Jahrhundert wird so zu einer Erzählung über menschliche Überzeugungen, Widerstandsfähigkeit und das Streben nach Verständnis, geprägt durch Archäologie, Anthropologie und Technologie.
Quellen: „A Aproximação Facial da “Vampira” de Veneza (Séc. XVI-XVII)“ (Figshare, 2024); Phys.org
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