Im Bundestagswahlkampf hatte CDU-Chef Friedrich Merz keinen Zweifel daran gelassen, dass er an der Schuldenbremse festhalten will. Noch Ende Januar 2024 donnerte Merz im Bundestag in Richtung der Ampel-Koalition: Eine Aufweichung der Schuldenregel werde es mit der Union nicht geben. Auch im Wahlprogramm der CDU/CSU war die Linie klar: Keine neuen Schulden, dafür solide Finanzen und Generationengerechtigkeit. Das ändert sich nun.
Schuldenbremse: Einst noch „tiefe Überzeugung“
Merz stilisierte die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse regelrecht als heilige Regel, die SPD und Grüne nicht antasten dürften. Entsprechend schloss er im Wahlkampf jede Lockerung kategorisch aus. Unterstützung bekam er dabei aus den eigenen Reihen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann etwa betonte dem ZDF zufolge noch Mitte November 2024: „Mit uns gibt es keine Veränderung im Bund an der Schuldenbremse, weil das unsere tiefe Überzeugung ist.“
Auch andere Unionspolitiker wie CSU-Chef Markus Söder lehnten es strikt ab, die Verschuldungsgrenzen zu verschieben. Die Botschaft im Wahlkampf war eindeutig: Neue Kredite über das erlaubte Maß hinaus seien unverantwortlich. Merz warnte, so BR24, eine Aufweichung der Bremse würde nur „noch mehr Geld für Konsum und Sozialpolitik“ ermöglichen – das lehne er ab. Stattdessen müsse der Staat mit den vorhandenen Mitteln auskommen.
Umso größer war die Verwunderung, als Merz kurz nach dem Bruch der Ampel-Koalition plötzlich andere Töne anschlug. Auf einem Wirtschaftsgipfel am 13. November 2024 – nur wenige Tage nach dem Ampel-Aus – sagte Merz überraschend: „Selbstverständlich kann man [die Schuldenbremse] reformieren. Die Frage ist: Wozu, mit welchem Zweck?“. Diese Bemerkung ließ aufhorchen. Hatte Merz zuvor im Wahlkampf jede Änderung des Grundgesetz-Artikels strikt abgelehnt, so klang er nun offen für Ausnahmen – sofern sie einem guten Zweck dienen.
Konkret schränkte er ein, eine Reform komme nur infrage, wenn damit wichtige Investitionen und Fortschritt für kommende Generationen finanziert würden. Gehe es bloß um mehr Geld für laufende Ausgaben, bleibe seine Antwort „Nein“.
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Schuldenoffensive nach der Wahl
Tatsächlich hatten bereits vor der Wahl einige CDU-Ministerpräsidenten wie Kai Wegner (Berlin) oder Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) laut über eine Lockerung der Schuldenbremse nachgedacht. Merz hatte solche Vorstöße damals noch brüsk abgetan – Entscheidungen über die Schuldenbremse würden im Bundestag entschieden, nicht etwa in Berlins Rathaus, ätzte er damals Richtung Wegner, berichtete das ZDF weiter. Doch nun, nach der Bundestagswahl, bereitete der CDU-Chef offenbar verbal einen Kurswechsel vor
Die politische Konkurrenz reagierte prompt. Grüne und SPD hatten schon lange auf mehr finanzielle Spielräume gedrängt – dieser Streit um Neuverschuldung war sogar ein Mitgrund für das Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition. Tatsächlich ließ Merz den Worten Taten folgen. In den aktuellen Sondierungsgesprächen zur Regierungsbildung zwischen Union und SPD zeichnet sich eine regelrechte Schulden-Offensive ab. Beide Seiten einigten sich grundsätzlich auf die Einrichtung zweier Sondervermögen – eines für die Bundeswehr, ein weiteres für Infrastruktur und Zukunftsinvestitionen.
Kritiker*innen monierten allerdings, Merz habe mit dieser Aussage taktisch bis nach der Wahl gewartet – eine Woche zuvor hätte er wohl viele konservative Wähler verschreckt. So wies auch Felix Banaszak, seit November 2024 Bundesvorsitzender des Bündnis 90/Die Grünen, auf Merz Wende hin. Der mdr zitierte: „Einen Tag nach der Wahl stellt Friedrich Merz fest: Huch, da fehlen ja ein paar Hundert Milliarden Euro! Da müssen wir jetzt aber dringend mal was machen.“
Die außerhalb des regulären Haushalts angesiedelten Fonds sollen schuldenfinanziert sein und zusammen weit über 200 Milliarden Euro umfassen.
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Milliarden für Bundeswehr und Infrastruktur
Laut Medienberichten stehen sogar noch größere Summen im Raum: Für die Bundeswehr beziffern Ökonom*innen den Bedarf auf rund 400 Milliarden Euro, für marode Infrastruktur auf bis zu 500 Milliarden Euro. „In Summe zielen die Vorschläge auf ‚das scharfe Ende‘ der Verteidigung, also die Überlegenheit auf dem modernen Gefechtsfeld, und weniger auf Unterstützungs- oder Logistikaspekte der Verteidigung“, zitierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus einem Hintergrundpapier einer Gruppe um Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel).
Selbst wenn nicht alles auf einmal fließt – allein die Debatte über Schulden in Höhe von bis zu 500 Milliarden Euro je Sondervermögen markiert eine radikale Wende in der Finanzpolitik.
Dieses Mega-Finanzpaket würde die erlaubte Neuverschuldung bei weitem sprengen. Um es dennoch umzusetzen, soll – genau wie beim 2022 eingerichteten 100-Milliarden-„Zeitenwende“-Bundeswehrfonds – das Grundgesetz geändert werden. Union und SPD wollen die neuen Schulden-Töpfe explizit jenseits der Schuldenbremse ermöglichen. Eine solche Verfassungsänderung benötigt eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Brisant: Im neu gewählten Bundestag verfügen AfD und Linke zusammen über ein Drittel der Sitze und könnten eine Änderung blockieren.
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Union und SPD drängen auf schnelle Entscheidung
Um möglichen Blockaden zu entgehen, erwägen Union und SPD, die nötigen Beschlüsse notfalls noch vom alten Parlament mit Hilfe der Grünen fassen zu lassen. Dieses Vorgehen wäre außergewöhnlich und politisch heikel, da es den Willen des neu gewählten Parlaments umgeht. Doch der Zeitdruck ist hoch – Ende März konstituiert sich bereits der neue Bundestag.
Inhaltlich skizzieren die Verhandler*innen grob, wohin die Milliarden fließen sollen, so der mdr weiter. Die schriftliche Einigung von Union und SPD nennt Ausgaben für Zivilschutz, Verkehr, Krankenhäuser, Energie, Bildung, Kinderbetreuung, Wissenschaft, Forschung, Entwicklung und Digitalisierung. Hier steckt vieles drin, was Deutschlands Substanz zugutekäme – von maroden Brücken bis zur Modernisierung der Bahn. 100 Milliarden Euro des Infrastrukturpakets sind laut Entwurf für Länder und Kommunen vorgesehen, um Investitionen vor Ort anzukurbeln.
Bei der Bundeswehr soll eine neue Regel greifen: Ausgaben über einem Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) würden aus dem normalen Haushalt ausgegliedert. Da das Zwei-Prozent-Ziel der NATO weiterhin gilt, entspräche das jährlich gut 43 Milliarden Euro an zusätzlichen Verteidigungsmitteln – über zehn Jahre also rund 430 Milliarden Euro extra. In Summe bewegt man sich auf die Marke eine Billion Euro an neuen Schulden zu, verteilt über ein Jahrzehnt. Eine solche Größenordnung hätte vor der Wahl wohl niemand von der CDU/CSU vorgeschlagen.
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Notwendige Investition oder Wählertäuschung?
Kritische Stimmen innerhalb und außerhalb der CDU sprechen von einer Kehrtwende um 180 Grad. In sozialen Medien und Leserbriefen ist gar von Wählertäuschung die Rede. Ein CDU-Wähler klagte in einem BILD-Interview, was Merz nun mache, sei „mindestens Wählerbetrug“ – man lade jungen Generationen enorme Schulden auf, was „nicht fair unserem Land gegenüber“ sei. Die Tonlage ist deutlich: Viele hatten Merz’ Wahlversprechen einer schuldenfreien Investitionspolitik geglaubt und fühlen sich nun getäuscht.
Andere zeigen sich mit Blick auf die aktuelle Lage in der Ukraine sowie die jüngsten Absagen aus den USA gnädiger. So rechtfertigt auch Merz selbst den Kurswechsel mit den veränderten Realitäten. So verweist Merz auf die sicherheitspolitische Lage: Die USA unter Donald Trump hätten ihre Schutzgarantie in Frage gestellt, Europa müsse nun nach dem Prinzip „Whatever it takes“ – alles, was nötig ist – in die eigene Verteidigung investieren.
Ähnlich argumentiert man bei der Infrastruktur: Deutschlands Verkehrswege, Schulen und Netze seien in einem Zustand, der es erfordere, außergewöhnliche Finanzmittel bereitzustellen. Tatsächlich war dem mdr zufolge bereits vor der Wahl klar, dass nach Ausschöpfen des 100-Milliarden-Bundeswehrfonds zusätzliche Milliarden nötig würden und dass Deutschlands Infrastruktur auf Verschleiß fährt. Das hatten Merz und die CDU-Spitze im Wahlkampf jedoch nicht offen kommuniziert.
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Die neue Realität
Nun, da die Union vor der Regierungsübernahme steht, gilt es, das Versäumte nachzuholen. SPD-Chef Lars Klingbeil verteidigte in den Sondierungen das gewaltige Schuldenpaket mit den Worten: „Unser Land fährt auf Verschleiß.“ Man habe keine Wahl, als jetzt massiv gegenzusteuern. Die SPD zeigt sich daher zufrieden, dass Merz die ideologische Blockade aufgibt – schließlich hatte sie selbst in ihrem Wahlprogramm einen staatlichen Investitionsfonds gefordert und die Schuldenbremse als flexibel interpretierbar dargestellt.
Linke und AfD hingegen bleiben bei ihrer Ablehnung neuer Schulden. Die Linke unterstützt zwar ein Infrastrukturprogramm, lehnt aber zusätzliche Rüstungsschulden strikt ab. Die AfD wiederum pocht ebenso eisern auf Einhaltung der Schuldenbremse wie früher die Union und will staatliche Ausgaben eher kürzen. „Haushaltswidrige Schulden in Höhe von einem oder sogar zwei Bundeshaushalten sind unzumutbar“, so die Vorsitzenden der AfD-Bundesfraktion Alice Weidel und Tino Chrupalla.
Ob Merz die Vertrauenswürdigkeit dieser Kehrtwende politisch schaden wird, ist noch offen. Einer aktuellen Umfrage zufolge befürwortet knapp die Hälfte der Deutschen inzwischen eine Lockerung der Schuldenbremse, während nur 28 Prozent dagegen sind, berichtete t-online. Sogar unter Unionsanhänger*innen ist eine Mehrheit dafür. Die Zustimmung in der Bevölkerung für mehr Investitionen auf Kredit ist also vorhanden. Merz kann also argumentieren, er handle im nationalen Interesse und durchaus mit Rückendeckung vieler Bürgerinnen und Bürger. Dennoch bleibt der Beigeschmack, dass er einen harten Sparkurs propagierte und nun Milliarden-Schulden auftürmt.
Quellen: Zweites Deutsches Fernsehen; Bayerischer Rundfunk; Tagesschau; Mitteldeutscher Rundfunk; FAZ; BILD; X/@spdde; Alternative für Deutschland; t-online
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